Raine der Wagemutige
hatte, hatte sie keine Gelegenheit ausgelassen, sie daran zu erinnern, was sie ihrem Clan schuldig war. Jeder von ihnen hatte in dieser Zeit sehr viel über den anderen gelernt.
Favor hatte gelernt, ihre Verwundbarkeit und Verletzlichkeit zu verbergen. Muira hatte gelernt, dass die willige Marionette, die sie ganz nach Belieben zu beeinflussen gehofft hatte, in Wirklichkeit eine unabhängige junge Frau war, die nicht leicht zu handhaben war. Das war eine Lehre gewesen, die der alten Schottin gar nicht gefallen und die dazu geführt hatte, dass die beiden Frauen beständig aneinander gerieten.
„Oder“, sagte Muira nun, „fragst du dich vielleicht, ob deine süße blühende Jugend tatsächlich geopfert werden muss?“
Favor sah ihr ins Gesicht, ohne etwas zu erwidern.
„Nun, mein liebes Kind, all die Männer, die deinetwegen sterben mussten, standen ebenfalls in der Blüte der Jugend. Und sie alle verdienten hübsche junge Bräute und pausbäckige Kinder und ein gemütliches Heim. Mein Ehemann, mein Bruder und meine drei Söhne waren unter ihnen. “
„Ich weiß.“ Das war wirklich so. Sie hatte sich nach ihrer Ankunft hier eines Nachts in die Ställe geschlichen und Jamie aufgesucht, der sich als Thomas Donnes Kutscher ausgab. Sie hatte ihn gebeten, bei dem Krieg, der zwischen ihrem und Muiras Willen tobte, einzuschreiten. Doch Jamie hatte sich geweigert und ihr stattdessen erzählt, wie Muira in der Nacht des Massakers ihre ganze Familie verloren und trotzdem die Kraft gefunden hatte, unter den Toten immer weiter nach Verwundeten zu suchen und sie wieder gesund zu pflegen.
Aber Favor, durch die freundliche Anleitung der Äbtissin beeinflusst, wusste auch, dass sie selbst nur zum Teil für die Tragödie verantwortlich war, die sich in jener Nacht ereignet hatte. Die Äbtissin hatte Jahre gebraucht, sie davon zu überzeugen. Und doch spürte Favor täglich, wie unter Muiras sorgsamer Pflege das alte Schuldgefühl wieder erwachte.
„Wir haben uns nicht die ganze Zeit versteckt und das Leben der letzten uns gebliebenen Männer beim Schmuggel von französischem Brandy aufs Spiel gesetzt, damit du ein glückliches und zufriedenes Leben in deinem feinen Kloster führen konntest. Wir haben das getan, weil wir Pläne hatten, die du nun wegen deiner Blutschuld den McClairen gegenüber ausführen musst.“
„Das habe ich nie bestritten.“ Lieber Gott, nein. Nicht sie. Das Gewicht der Erwartungen der McClairen ruhte wie Blei auf ihren Schultern und hatte sie manchmal fast erdrückt, aber sie war nicht davor in die Knie gegangen. Sie würde daran auch jetzt nicht zerbrechen. Niemand wünschte sich so sehr, die Schuld abzuzahlen, wie sie.
„Wir haben nicht all diese Jahren gearbeitet und geplant und Opfer gebracht, dass du jetzt alles ruinieren kannst, so kurz vor dem Ziel.“
„Ich werde nichts ruinieren.“
„Wenn alles gut geht - und das liegt ganz bei dir - werden die Insel und die Burg bald schon wieder den McClairen gehören. Ist das denn nicht, was auch du willst?“ verlangte Muira zu wissen.
„Ja.“
„Dann höre mir gut zu, du darfst Janet McClairen nicht spielen, du musst Janet McClairen sein. Hast du verstanden?“
„Das habe ich doch versucht“, entgegnete Favor, und es gelang ihr nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen. „Mein Gesicht schmerzt schon von der Anstrengung, aber Carr scheint mich gar nicht wahrzunehmen. “
„Dann strenge dich noch mehr an!“ lautete die barsche Antwort der alten Frau.
Favor wich nicht zurück. Sie tat, was sie tun musste, aus ihren eigenen Gründen, um ihre Schuld endlich ein für alle Mal und ganz hinter sich lassen zu können. „Die Zeit wird knapp, und Ihr habt mir bisher nicht den Schlüssel liefern können, den ich brauche, dass Carr mich für Janet McClairen hält. Vielleicht trügen Euch Eure Erinnerungen, oder
Euer Gedächtnis ist nicht so gut, wie Ihr dachtet. Vielleicht liegt es auch daran, dass Ihr mich nicht lehren könnt, was Ihr nicht wisst.“
Muira begann plötzlich zu kichern. „Du ziehst meine schauspielerischen Künste in Zweifel, Kindchen? Tu es nicht. Habe ich Carr nicht davon überzeugt, dass ich eine harmlose, süße alte Dame bin?“
Sie blinzelte kurzsichtig und verzog ihren Mund zu einem gütigen Lächeln. Im Nu war sie von Kopf bis Fuß die ahnungslose, ältliche Verwandte geworden, die sie zu sein vorgab. Favor musterte sie mit widerwilliger Bewunderung.
Nachdem sie vor mehreren Monaten angekommen waren, hatten sie
Weitere Kostenlose Bücher