Raine der Wagemutige
Geflügel einzuwenden. Ach, noch etwas! Versucht nächstes Mal, den Kuchen nicht zu zerdrücken. “
Er konnte sie nicht zu einer Antwort zwingen.
„Und vergesst meine Kleider nicht wieder. Es wäre mir äußerst unliebsam, Eure feine Nase morgen mit meinem Körpergeruch beleidigen zu müssen, und heute Abend habe ich vor, weiterzuarbeiten.“
„Ich werde morgen nicht kommen“, presste sie zwischen steifen Lippen hervor.
„Nun, das wäre aber. . .“, in seiner Stimme, die den ganzen Nachmittag lang so freundlich und heiter gewesen war, schwangen jetzt wieder dunkle Drohungen mit, „ganz sicher ein Fehler.“
„Miss Donne.“ Carr stand hinter dem Stuhl, den er ihr zurechtgerückt hatte, und wartete, dass sie sich setzte. Dass er sie nicht nur zum Dinner begleitete, sondern ihr auch noch so weit oben am Tisch einen Platz zuwies, war mehr als ungewöhnlich und gab unter den angeheiterten Gästen zu wilden Mutmaßungen Anlass. Favor glitt auf den Stuhl und weigerte sich, die starren Blicke derer zur Kenntnis zu nehmen, die darauf aufmerksam machen wollten, dass sie durch ihr Tun eine Marchioness, ein paar Baronessen und wenigstens ein halbes Dutzend Ladies brüskierte.
„Miss Donne.“
Favor blickte auf und bemerkte, dass ihr gegenüber Lady Fia, Carrs Tochter, am Tisch saß. Das Mädchen sah leicht belustigt aus. Allerdings sah Lady Fia, soweit Favor es beurteilen konnte, immer leicht belustigt aus; ihre schwarzen, elegant geschwungenen Brauen waren stets spöttisch gehoben, und in dem Eisblau ihrer Augen lauerte ständig ein wissendes Funkeln.
„Lady Fia“, erwiderte sie höflich. Was konnte dieses geheimnisvolle, zurückhaltende Mädchen von ihr wollen? Obgleich sie wenigstens drei Jahre jünger sein musste als sie selbst, schien Lady Fia auf gewisse Weise älter als jede andere Frau im Raum.
„Lord Tunbridge bittet darum, Eure Bekanntschaft zu machen.“ Mit ihren langen, schlanken Fingern beschrieb sie einen anmutigen Bogen in der Luft und deutete auf einen bislang unbemerkten Gentleman. „Miss Donne, darf ich Euch Lord Tunbridge vorstellen? Lord Tunbridge, Miss Donne.“
Er nickte und musterte sie aus verhangenen Augen eindringlich. „Miss Donne, es ist mir ein Vergnügen.“ Lord Tunbridge war hoch gewachsen und so dünn, dass er fast ausgezehrt wirkte; die Haut in seinem Gesicht spannte sich straff über den Knochen. Er sah verärgert und hungrig aus. Seine weißen Hände waren nie still, glitten unruhig über das Besteck, verschoben es und ordneten es neu.
Favor versah ihre rechte Wange im Geiste mit einem Grübchen und ahmte Janet McClairens bezauberndes Lächeln nach. „Danke, Sir.“
„Tunbridge ist ein guter Freund Carrs“, erklärte Fia glatt. „Das seid Ihr doch, Tunbridge, oder?“
Neben Favor schwieg Carr und schien entschlossen, sich mit der Rolle des stummen Beobachters zu begnügen.
„Aber kein so guter Freund, wie er es gerne wäre“, bemerkte Fia. In gespieltem Mitgefühl legte sie ihre Hand kurz auf Tunbridges, ließ sie einen Augenblick länger dort ruhen, als bloßes Mitgefühl es rechtfertigte. Tunbridge erdolchte sie mit einem hungrigen Blick, dem sie geschickt auswich.
„Sie scheinen allerdings gegenwärtig Zwistigkeiten zu haben“, fuhr Fia fort. „So etwas geschieht ja von Zeit zu Zeit selbst zwischen den besten Freunden, Miss Donne. Besonders solchen mit einer so lange zurückgehenden Geschichte, wie sie Lord Tunbridge und meinen Vater verbindet. Es ist nun an uns, die Wogen zu glätten. Das ist unsere Pflicht als Frauen, da wir ja so friedfertige Geschöpfe sind. Stimmt Ihr mir nicht zu?“
Die Worte des Mädchens waren dazu berechnet, Favor die Gelegenheit zu bieten, ihre Rolle zu spielen. Dennoch verspürte sie in sich Widerwillen. Der Nachmittag hatte ihr einen Vorgeschmack auf Freiheit gegeben. Wie ironisch, dass ausgerechnet ein Dieb und Erpresser ihr die vorübergehende Möglichkeit geboten hatte, ihrem Schicksal zu entfliehen. Einem Schicksal, das du selbst gewählt hast, erinnerte sie sich streng.
Fia wartete gelassen auf ihre Antwort.
Favor musste immer noch ihre Schuld abtragen.
„Es tut mir Leid, wenn ich Euch widersprechen muss, Lady Fia, aber ich habe mich nie selbst als sonderlich friedfertig betrachtet. Vielleicht liegt es in Eurer Natur, zu vergessen und zu verzeihen, wenn Euch ein Unrecht geschieht. In meiner liegt es nicht.“
Neben sich hörte sie Carr schwach, aber hörbar Luft holen. Die Adern auf seinem Handrücken standen
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