Raine der Wagemutige
nicht, ich aber schon.“
Sie rutschte sofort von seinem Schoß, ergriff eine seiner großen Hände und zog ihn von seinem Stuhl. „Nun, dann kommt, mein Lieber“, sagte sie, „folgt mir.“
Eine Flotille dickbäuchiger weißer Wolken segelte gemächlich über den strahlend blauen Himmel. Man würde die Sonne noch viele Stunden länger genießen können, bevor der Oktober sich wieder daran erinnerte, dass er ein Herbstmonat war und seine Rolle als Vorbote des Winters ernst nahm.
Die Picknickgesellschaft aus Wanton's Blush sah die Wärme als etwas Selbstverständliches an, da ihre Teilnehmer weit mehr an irdischeren Genüssen interessiert waren. Sie lagerten auf Wolldecken, wo die Männer ihre Köpfe in die Schöße der Frauen gebettet hatten, mit ihren Zungen die Lippen benetzten, Einladungen verhießen und ausgelassen anzügliche Bemerkungen austauschten, während das eine oder andere Stelldichein vereinbart wurde.
Raine Merrick stand, die Zügel seines Pferdes in der Hand, unter den Ästen einer alten Eberesche. Er war solches Betragen gewohnt, da er unter den eifrigsten Anhängern dieses Zeitvertreibs aufgewachsen war. Er wartete ein paar Minuten länger, suchte mit seinen Augen die Gesellschaft nach ihr ab.
Wenn sie glaubte, sie könne sich zu irgendeinem lauschigen Plätzchen mit einem ihrer in Frage kommenden Verehrer davonstehlen, dann hatte sie sich getäuscht. Er hatte nicht die geringste Absicht, sie von ihrer Mithilfe bei der Suche zu entbinden. Seine Knöchel spannten das schwarze Leder seiner Handschuhe, als er seine Hand zu einer Faust ballte. Irgendwie war sie zu der irrigen Ansicht gekommen, dass sie und er eine Art Verbündete waren und dass sie ihren Launen nachgeben konnte, selbst bestimmen durfte, wann und wo sie zu ihm kam. Nun, bald schon würde sie ihren Fehler einsehen und eines Besseren belehrt werden.
Er schlang die Zügel seines Pferdes um einen niedrig hängenden Ast, während Ärger in ihm aufwallte und mit ihm ein Gefühl der Gekränktheit über ihre . . . ihre Treulosigkeit. Und falls es ihm auffiel, dass er ursprünglich nur vorgehabt hatte, sie in seiner Nähe zu behalten, damit er sich darüber klar werden konnte, wie er seine Schuld ihr gegenüber am besten abtragen konnte, dann ließ er sich durch diesen Widerspruch nicht stören.
Soweit es ihn anging, hatte sie ihm für einiges Rede und Antwort zu stehen, diese Favor McClairen. Sie drängte sich in seine Gedanken und verfolgte ihn bis in seine Träume, zerstörte seine Kriegslist, untergrub seine Entschlossenheit und tötete sein Verlangen, mit einer anderen Frau ins Bett zu steigen - verflucht! Es bestand nicht die geringste Aussicht, dass er ihr gestatten würde, ihren Spaß zu haben, wenn ihm das Gleiche versagt blieb.
Er würde sie finden, bei Gott, selbst wenn es bedeutete, dass er jede einzelne dieser juwelenbesetzten Modepuppen befragen musste. Es kümmerte ihn wenig, wenn irgendjemand bemerkte, dass er nicht von Anfang an zu der Gesellschaft gehört hatte. Und noch weniger scherten ihn die Folgen einer solchen Entdeckung.
Er schritt zu einer kleinen Gruppe Müßiggänger. Ein paar Gentleman beobachteten sein Näherkommen in milder Neugier. Mehrere der anwesenden Frauen sandten ihm wesentlich interessiertere Blicke zu.
„Wo ist das Mädchen?“ fragte er mit lauter, gereizter Stimme, als er dichter bei ihnen angekommen war. Ein Dandy, der sein Kinn in seine Hand, nur wenige Zoll vor dem Busen einer Brünetten, gestützt dasaß, hob erstaunt seine Augenbrauen.
„Wir haben hier ein mit Mädchen reichlich bestücktes Büfett, Sir“, erwiderte der Dandy. „Nach welchem delikaten Bissen haltet Ihr denn Ausschau?“
„Miss Donne.“
Der Dandy schnalzte leise mit der Zunge. „Zu schade, alter Junge. Ich fürchte, Miss Donne wird zur Zeit gerade . . . probiert. “
„Wirklich?“ Gott sei Dank, die Jahre im Gefängnis leisteten ihm jetzt gute Dienste. Er lächelte immer noch. In gewisser Weise.
„Puh! Sagt mal, sieht der nicht wirklich herrlich grausam aus?“ hauchte eine Schöne in blauer Seide und enthüllte durch ihren schweren Akzent des Londoner Hafenviertels eine Abstammung, zu der nie Seide gehört hatte. „Macht Euch man keine Gedanken, Sir. Mit Euerm Aussehen müsst Ihr nicht lange warten, bis Ihr 'ne andre findet.“
Raine ignorierte ihren Einwurf. „Von wem?“ „Tunbridge“, antwortete ein anderer Mann wehmütig. „Beneidenswerter Bastard.“
„Und wo findet man das glückliche
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