Raketenmänner (German Edition)
fragen, wie ihr die Kassette gefallen habe, die er ihr beim letzten Mal geschenkt hatte.
»Die Kassette?«, fragte sie, ganz leicht kieksend. »Ach ja, die Kassette«, sagte sie. »Nun ja, zunächst mal hatte ich gar kein Gerät, mit dem ich die abspielen konnte.«
Sabolewski stutzte. Er kannte niemanden in seinem Alter, der kein altes Tapedeck zu Hause hatte.
»Ich habe meinen Sohn gefragt, ob er es mir auf meinen iPod spielen könnte, aber der hat nur gelacht und gesagt, dass das nicht so einfach ist. Er hatte nämlich auch kein Gerät, mit dem man die Kassette hören konnte. Ich dachte, die machen das heute alles mit dem Computer, aber was verstehe ich schon davon!«
Frauen, die damit kokettierten, mit Technik nicht zurechtzukommen, hatten Sabolewski eigentlich nie interessiert.
Sie sah sich um. »Du hast doch eine ganz moderne Anlage«, sagte sie. »Mit CD -Player und allem.«
»Sogar mit Steckplatz für den iPod, aber das ist ja jetzt nicht das Thema.«
Sie legte ihren Kopf an die Wand. »Diese Kassette hat mich so an früher erinnert. An die Schule. Und wie die Jungs Kassetten für die Mädchen, in die sie verliebt waren, aufgenommen haben.«
Genau das sollte es sein, dachte Sabolewski. Eine kleine Erinnerung, ein sentimentaler Spaß.
»Und als ich das Ding in den Händen hielt und nicht wusste, wo ich es abspielen sollte, habe ich mich so alt gefühlt. Ich habe daran gedacht, dass ich irgendwann sterben muss.«
Sabolewski beschloss, ihr keinen Alkohol mehr zu geben.
»Ist noch Champagner da?«, fragte sie und schwenkte ihr leeres Glas. Er zögerte und schenkte ihr doch noch etwas ein.
»Irgendwann fiel mir ein, dass meine Mutter noch so ein Gerät hat. So einen Radiorecorder. Echt antik.« Sie leerte das Glas bis zur Hälfte. »So wie ich.«
Sabolewski griff nach den Erdbeeren.
»Naja, ich habe es jedenfalls hören können. Also erst mal den Anfang: ganz süß, die Ansage. Wie im Radio. Nur dass eben im Radio jeden Tag etwas anderes läuft, und auf so einer Kassette immer dasselbe, aber egal.«
Sabolewski schenkte sich selbst noch Champagner nach und fragte sich, wie er unauffällig an die harten Sachen auf dem Teewagen in der Ecke rankommen sollte.
»Ja, und dann diese tiefe Stimme, also nicht deine, sondern die von dem Sänger beim ersten Lied! Meine Güte, da lief es mir aber kalt den Rücken runter! Der hat mir richtig Angst gemacht.«
Sie war wahrscheinlich eine der wenigen Frauen, die Angst vor Leonard Cohen hatten. Sabolewski hatte lange überlegt, ob er den an den Anfang setzen sollte. Ein Mixtape anzufangen mit den Zeilen If you want a lover, I’ll do anything you want me to , war gewagt, das hätte er sich vor zwanzig, dreißig Jahren nicht getraut.
»Ja, und der nächste sang so hoch, da wusste ich gar nicht, ob das eine Frau oder ein Mann ist. Also, so was irritiert mich immer. Und das Lied war auch irgendwie so … Also da passierte nicht viel, will ich mal sagen.«
Männlicher als Marvin Gaye ging es ja nun kaum. Und die Meinung, in Inner City Blues passiere nicht viel, hatte sie auch weitgehend exklusiv.
»Ach ja, und dann wurde es richtig dramatisch, Geigen und so, das fand ich ganz gut. Das war ja auch ein bisschen flotter. Nur der Sänger, der war so, irgendwie, naja, der hat so durch die Nase gesungen.«
Sabolewski hoffte, dass Richard Ashcroft direkt nach der Aufnahme von A Song for the Lovers einen guten HNO - Arzt aufgesucht hatte.
»Tja, und das war’s«, sagte sie.
Sabolewski wunderte sich. »Wieso?«
Sie kicherte. »Weil der Radiorecorder von meiner Mutter das Band gefressen hat.«
»Bandsalat?«
»Wie früher.« Das fand sie sehr lustig. Plötzlich aber wechselte ihr Gesichtsausdruck wieder. »Ich musste das alles aus dem Gerät rausfummeln, das war eine Heidenarbeit. Ich habe es mit einem Bleistift aufgewickelt, dabei ist mir fast die Hand abgefallen. Und als ich die Kassette wieder eingelegt habe, hat sie ganz komische Geräusche gemacht, und der Recorder hat das Ding wieder gefressen. Kannst du mir das nicht alles noch mal auf CD brennen?«
»Klar, kein Problem«, sagte Sabolewski, stand auf, ging zum Teewagen und goss sich einen doppelten Bourbon ein. Ohne Eis, ohne Soda. Keine Fisimatenten.
»Ist doch auch viel praktischer. Die muss man nicht umdrehen, und wenn man das auf dem Computer hat, kann man es immer wieder brennen, sagt mein Sohn. Wer weiß, wer sich noch alles auf die Anzeige meldet.«
»Kann man nie wissen«, sagte Sabolewski und stürzte
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