Raketenmänner (German Edition)
es nicht so auf das Alter an. Viele unserer Kunden sind nicht mehr die Jüngsten. Die finden es nicht schlecht, wenn am anderen Ende jemand sitzt, der auch schon ein paar Runden gedreht hat.«
Der Bengel zwinkerte Sabolewski tatsächlich zu.
»Das heißt natürlich nicht«, fuhr er fort und kippte mit seinem bequemen Drehstuhl so weit nach hinten wie möglich, »dass Sie in den Gesprächen darüber plaudern dürfen, wie es damals war, im Barrikadenkampf. Oder im Schützengraben vor Stalingrad!«
Das fand der Bengel richtig lustig.
»Es geht mehr darum, unterschwellig eine Atmosphäre des Vertrauens aufzubauen, Sie verstehen, Herr …« Der Bengel kippte ruckartig nach vorn und suchte in den Papieren auf seinem Schreibtisch herum. »Herr Sabolinski.«
»Sabolewski«, sagte Sabolewski.
»Aha, Sabolewski, auch gut. Na ja, das Nötigste habe ich Ihnen erklärt, eingearbeitet werden Sie von der Janine, die stelle ich Ihnen noch vor, dann ist erst mal Schluss für heute. Aber ich sage Ihnen gleich, die Janine, die ist ein, nun ja, Feger, sage ich mal, weil ich davon ausgehe, dass Sie das nicht als sexuelle Belästigung bewerten. Man kann heute einer Frau kaum noch ein Kompliment machen ohne als Vergewaltiger dazustehen.«
»Ist das so?«
Der Bengel lachte auf. »Ich sage Ihnen, da könnte ich Sachen erzählen … Aber lassen wir das.«
Er erhob sich und ging zur Tür. Sabolewski folgte ihm.
Als der Bengel die Tür öffnete, liefen sie wieder gegen diese akustische Wand aus menschlichem Gerede und dem Klappern von Computertastaturen, die Sabolewski schon empfangen hatte, als er vorhin angekommen war.
Der Raum war riesig. Männer und Frauen saßen mit Sprechgarnituren, bestehend aus Kopfhörern und direkt vor dem Mund hängenden Mikrofonen, an abgeteilten Arbeitsplätzen, die mit halb hohen Wänden abgeschirmt waren. Sie redeten, sie lachten, rieben sich die Augen, streckten sich aus, aber die meisten hackten auf ihre Tastaturen ein. Wer sich jemals gewünscht hat, Teil von etwas Großem zu sein, dachte Sabolewski, wäre hier genau richtig. Fußballfans müssten sich hier wohlfühlen.
Der Bengel führte ihn zu einem Pausenraum, wo sich eine Frau in T-Shirt und Jeans gerade einen Kaffee aus einem Automaten zog. Die Jeans hatte sie in rote Stiefel gesteckt.
»Das ist die Janine«, sagte der Bengel, »die hilft Ihnen weiter.« Von Janine unbemerkt, zwinkerte der Bengel Sabolewski zu und verließ den Raum. Sabolewski vermutete, dass Janine und der Bengel zusammen nicht so alt waren wie er selbst.
»Ich bin die Janine«, sagte Janine. Von ihrem Gesicht könnte man einen Gipsabdruck machen, um das Adjektiv »gelangweilt« zu illustrieren, dachte Sabolewski.
»Ich bin Sabolewski.«
Janine nippte an ihrem Kaffee. »Wir reden uns hier mit Vornamen an.«
»Das ist mein Vorname.« Sabolewski sah Janine an. Sie lachte nicht über seinen Scherz. Er hatte schon Raufasertapeten gesehen, die mehr Reaktion zeigten.
Nicht mal halbherzig und in einem Ton, als könnte sie die Beschränktheit ihres Gegenübers nicht fassen, erklärte sie ihm ein bisschen was zu den Abläufen, und dass er am Montag erst mal nur neben ihr sitzen würde, damit er sich anhören könne, wie das alles funktioniere. Dann murmelte sie: »Pause ist zu Ende« und ließ ihn einfach stehen.
Auch gut, dachte Sabolewski und machte sich auf den Weg.
Als er von der U-Bahn-Haltestelle nach Hause ging, kam er an einem Haus vorbei, in dem eine Wohnung ausgeräumt wurde. Männer in Arbeitsklamotten warfen Dinge aus einem Fenster im zweiten Stock in einen Müllcontainer auf dem Gehweg. Auf der anderen Straßenseite saßen drei Männer vor einer Dönerbude und sahen dem Spektakel zu. Eine alte Frau kam aus dem Haus, mit einer Einkaufstasche in der Hand. Sie blieb stehen, blickte nach rechts und links und konnte sich offenbar nicht entscheiden, wo sie langgehen sollte. Sabolewski fragte, ob er helfen könne.
»Der Laden«, sagte sie. »Wo ist der Laden?«
»Ich kann Sie hinbringen, das liegt auf meinem Weg«, sagte Sabolewski.
Wortlos hakte sich die Frau bei ihm ein. Sie kamen nur sehr langsam voran.
»Der Herr Krupke hat das immer für mich gemacht«, sagte sie plötzlich. »Aber ich glaube, er ist ausgezogen. Deshalb werfen sie seine Sachen aus dem Fenster.«
Sabolewski brachte es nicht über sich, die alte Frau im Supermarkt allein zu lassen, also ging er mit ihr durch die Reihen und fragte sie, was sie brauche. Von manchen Dingen fielen ihr die Namen nicht
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