Raketenmänner (German Edition)
Sofagruppe am anderen Ende des Raumes hatten zwei Jungs mit flaumigen Bärten und Strickmützen Laptops auf den Knien. Die Klamotten klebten Overbeck am Leib. Auch ein Zegna-Anzug fühlte sich scheiße an, wenn er nass war. Overbeck nahm das Telefon hervor und tippte unter Favoriten auf Brigitte mobil . Es kam kein Freizeichen, sondern gleich die Mailbox. Ihre Untersuchung musste längst vorbei sein. Etwas zu laut warf er das Telefon auf den Tisch. Ein paar Leute sahen ihn an.
Er musste raus hier.
Er ging zwei Runden um den Block.
Er ging wieder hinein. Sein Kaffee stand noch am selben Platz. Overbeck setzte sich und trank ihn weiter. Leute gingen raus, Leute kamen rein. Das Mädchen am Tresen erkannte ihn offensichtlich nicht wieder und sah ihn an, als wäre er irgendwo entlaufen. Ein Gestörter, der den Kaffee anderer Leute austrank. Overbeck fand, sie sah aus wie eine, die den angetrunkenen Kaffee eines Gastes, der längst gegangen war, nicht abräumte.
Der Regen ließ langsam nach, ohne ganz aufzuhören. Irgendwann machte Overbeck sich auf den Weg. Er versuchte noch einmal, Brigitte anzurufen, erwischte aber wieder nur die Mailbox.
Das Stufentreffen fand in einem Restaurant statt, das in einem Backsteingebäude untergebracht war, in dem früher mal irgendetwas hergestellt oder verarbeitet worden war. Draußen standen Tische unter weißen Sonnenschirmen, doch bei diesem Wetter wollte niemand draußen sitzen.
Drinnen bekam er von einer Kellnerin, die der Bedienung aus dem Starbucks zum Verwechseln ähnlich sah, einen Prosecco in die Hand gedrückt. Sekunden später war er von lauter Menschen umringt, die er alle auf den ersten Blick wiedererkannte. Overbeck fand das deprimierend. Es wurden Bilder von Kindern gezeigt. Nadine Bechtolf hatte schon drei, das älteste dreizehn Jahre alt. Overbeck hatte nicht mitbekommen, ob Junge oder Mädchen, aber er fragte auch nicht nach.
Ein Büfett war aufgebaut. Es war mit dem von der letzten Firmenfeier der Kanzlei weitgehend identisch. Zwischen Rucola und Lachs schien Esther Schwalb genau da weitermachen zu wollen, wo sie und Overbeck in der elften Klasse auf der Mädchentoilette beim Chemie-Saal mal angefangen hatten. Auch Ritter war da, mit dem er früher öfter auf Partys versackt war. Ganz offen redete der darüber, dass er seinen Job in der Energiebranche verloren habe, das aber eigentlich ganz in Ordnung finde. Overbeck dachte, dass ihm selbst jetzt vielleicht das gleiche Schicksal blühte, nur konnte er damit nicht so locker umgehen wie Ritter. Auf Overbecks Frage, was Ritter denn jetzt machen wolle, lachte der nur und sagte, er habe eine Freundin in Berlin. Als sei das eine Erklärung.
Overbeck ließ Ritter stehen und begrüßte ein paar andere.
Sie waren alle da.
Nur Petra Schliefenbaum nicht.
Man saß zusammen und tauschte Erinnerungen aus. Es gibt nichts Schlimmeres, dachte Overbeck, auch wenn er sich noch vor ein paar Stunden in Erinnerungen an die gefährliche Zeit mit Petra Schliefenbaum gesuhlt hatte. Oder vielleicht gerade deswegen.
Als Petra doch noch kam, fingen die anderen an zu tanzen. Ein aus dem Nichts aufgetauchter DJ hatte Ricky Martin aufgelegt. Die Menschen kennen keine Scham, dachte Overbeck.
Petra war sofort von mehreren Männern umringt. Sie lächelte jeden an. Sie hatte etwas zugenommen. Overbeck rechnete damit, dass sie den Raum nach ihm absuchen würde, doch das tat sie nicht. Irgendwann würden sie sich über den Weg laufen. Und er würde ihr seine Frage stellen.
Nach etwa einer Stunde, in der er sich mechanisch an Gesprächen in unterschiedlichen Graden von Stumpfsinn beteiligt hatte, sah er sie allein am Büfett stehen und ging zu ihr.
»Petra«, sagte er.
Sie fuhr herum und lächelte so, wie sie für die anderen auch gelächelt hatte.
»Du bist spät dran«, sagte er.
Sie hörte auf zu lächeln. »Ich wusste nicht, dass ich einen Termin habe.«
Er hatte es vermasselt. Gleich am Anfang. »Wie geht es dir?«, fragte er.
Sie nahm sich Hühnchen mit Reis. »Ausgezeichnet, danke.«
»Du siehst toll aus.«
»Ich weiß«, sagte sie und meinte es auch so.
»Hast du Kinder?«
»Natürlich«, sagte sie, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie schon lange nicht mehr eine so dumme Frage gehört.
»Schön«, sagte Overbeck.
»Und wie geht es dir ?«
»Ich glaube, ich habe gerade meinen Job verloren.«
Sie sah ihn an. »Du glaubst es?«
»Ich glaube, ich habe hingeschmissen.«
»Ach Jens«, seufzte Petra, »du warst immer
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