Rampensau
mitgenommen – irgendwann später. Dörthe, die Frau mit den roten Haaren und den starken Händen, hatte sie einfach in den Arm genommen und weggetragen. Ihr hatte sie auch ihren Namen zu verdanken – Kim, so wie Dörthes Lieblingspuppe geheißen hatte.
Als Kim ihre Augen wieder öffnete, war es hell. Sie lag auf der Seite, hinter ihr zwitscherten Vögel. Verdammt, sie war doch eingeschlafen. Munk hatte sich nicht gerührt. Nun aber konnte sie erkennen, dass er sie ansah – mit starren, weit aufgerissenen Augen. Ein furchtbarer Blick, irgendwie fragend und vorwurfsvoll. Sie schüttelte sich. Dann bemerkte sie etwas anderes. Noch jemand blickte sie an – dunkle, braune Augen, die über das Gatter starrten. Die Augen musterten sie unfreundlich, als wäre Kim schuld an Munks Tod, und zwischen den Augen stieg eine schmale, übel riechende Rauchsäule auf.
Haderer – er war gekommen. Wie gewöhnlich tanzte eine Zigarette zwischen seinen Lippen.
»Großer Gott«, sagte er und stieß die Luft aus. Dann schien er nachzudenken, jedenfalls rieb er sich über sein stoppliges Kinn und runzelte die Stirn unter seiner lockigen, ewig ungekämmten Mähne.
Ein Stück entfernt regte sich jemand; sie hörte Brunsts tiefes wohliges Schnauben. Die anderen schliefen noch, aber gewiss würden auch sie gleich erwachen.
»Hol mich der Teufel«, murmelte Haderer. Offenbar hatte er zu Ende gedacht. »Der Kerl liegt tot bei den Schweinen.«
Dann drehte er sich um und ging ziemlich unaufgeregt davon. Nur dass er die Tür nicht hinter sich schloss, war ungewöhnlich. Darauf hatte Munk bei Dörthe und Haderer immer Wert gelegt. »Macht die Tür hinter euch zu! Ich kann nicht arbeiten, wenn es im ganzen Haus nach Schweinen stinkt!«
Am Anfang war Kim über diesen Ausspruch beleidigt gewesen. Nun würde Munk nie wieder so etwas sagen.
Wenig später kehrte Haderer zurück. Er rauchte eine neue Zigarette und schlug mit der Faust gegen das Holz des Gatters. »He, Saubande!«, rief er. So nannte er sie immer. »Aufstehen! Gleich kommen die Bullen!«
Wieso kommen gleich Bullen, fragte Kim sich. Was sollten die hier? Sie konnte Haderer nicht leiden, aber wenn Dörthe nicht da war, kümmerte er sich um sie. Er war der Gehilfe. Er fütterte sie, mähte das Gras, arbeitete im Garten, schnitt Bäume, und sogar um Munks stinkendes Auto, das er Jeep nannte, kümmerte er sich. Nur eines durfte er nicht: auch nur einen Fuß in den Raum setzen, in dem Munk malte.
Haderer klopfte noch einmal gegen das Holz, Cecile quiekte im Schlaf auf, und dann kletterte er über das Gatter und öffnete die Tür zur Wiese.
»Raus mit euch!«, rief er. »Faule Bande.« Im Vorbeigehen versetzte er Kim einen Tritt, damit sie ja nach draußen lief, und stieß auch Doktor Pik mit dem Fuß an. Nur an Brunst traute er sich nicht ohne weiteres; ihn traktierte er am liebsten mit dem Spaten oder mit einem langen Stock. »Raus!«, wiederholte er. »Man sollte euch alle schlachten! Aber das wird man nun sowieso bald tun!« Er lachte und beugte sich über Munk. Richtig traurig schien er jedenfalls nicht zu sein, was Kim merkwürdig fand. Zu Munk war er eigentlich freundlich gewesen, meistens jedenfalls, nur hinter dessen Rücken hatte er manchmal leise geflucht.
Langsam richteten sich die anderen auf und folgten ihr auf die Wiese, erst Che, der ihr mürrisch einen Gruß zugrunzte, dann die kleine Cecile, die verschlafen blinzelte, dann Brunst, der laut gähnte. Zuletzt kam Doktor Pik, schweigsam wie immer.
»Was sollen wir tun, jetzt, wo Munk tot ist?«, fragte Kim und sah die anderen an.
Brunst gähnte wieder. »Ich suche mir erst mal was zu fressen«, sagte er uninteressiert und trabte davon. Cecile lief ihm nach. Frühmorgens war die einzige Zeit, wo sie nicht ständig vor sich hin plapperte.
»Ist mir alles egal«, meinte Che. »Ein Tierquäler weniger. Gibt immer noch mehr als genug.«
Doktor Pik schaute sie an. »Wir müssen auf der Hut sein«, sagte er geheimnisvoll.
Kim nickte. Sie spähte in den Stall hinein. Von hier aus waren nur die Füße von Munk zu sehen. Sie waren schmutzig und nackt. Das hatte sie vorher gar nicht bemerkt.
Dann hörte sie eine laute Sirene, dann noch eine, und wenig später fielen lauter Menschen auf dem kleinen Hof ein, Menschen, keine Bullen.
Während die anderen sich über die Kartoffelschalen und die alten Brotkanten hermachten, die Haderer ihnen achtlos hingeworfen hatte, verzichtete Kim auf ihr Fressen und legte sich auf die
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