Rampensau
welken Kohlkopf herum, den er vor den anderen in Sicherheit gebracht hatte. »Ich will schlafen. Bei eurem ewigen Gerede wird einem ja ganz schwindlig.« Dann rülpste er laut und drehte sich auf die Seite.
Kim rückte ein Stück von den anderen ab. Es war ihr zweiter Sommer, nein, eigentlich der dritte, an den ersten konnte sie sich jedoch nicht mehr erinnern. Der Mond wanderte ein Stück weiter, er fiel auf einen Flecken Stroh und dann auf Doktor Pik. Er war der Älteste von ihnen, nicht ihr Anführer, sie brauchten keinen Anführer, aber wenn er etwas sagte, dann galt es. Che hatte einmal gemeint, dass Doktor Pik schon hundert Jahre alt sei – ein Fossil gewissermaßen. Nun, Che übertrieb meistens, aber es stimmte, dass Doktor Pik vor allen anderen da gewesen war. Deshalb konnte ihn auch nichts mehr aufregen. Meistens schlief er irgendwo auf ihrer Wiese unter einem der fünf Apfelbäume. Einmal hatte Kim ihn dabei ertappt, dass er Wolken zählte oder ihnen zumindest nachsah.
»Was ist nun mit dem Fliegen?«, quengelte Cecile und schob sich mit ihrem rosigen Rüssel an Kim heran. »Meinst du, man kann es lernen? Kannst du es mir beibringen?«
»Ich glaube nicht«, sagte Kim. »War nur so ein Gedanke.«
Sie schloss die Augen, aber sie konnte nicht einschlafen. Der Schwarze ging ihr nicht aus dem Sinn. Groß und allein hatte er dagestanden und zu ihr herübergeschaut. Er hatte nach feuchten Blättern und leicht modrigem Wasser gerochen.
Plötzlich hörte sie eine aufgeregte Stimme aus dem hinteren Teil des Hauses, da, wo Robert Munk und Dörthe wohnten. Gelegentlich kam einer von beiden nachts noch zu ihnen herein – las etwas oder rauchte oder stand einfach nur da. Kim tat dann immer, als schliefe sie. Munk setzte sich meistens auf ihr Gatter und steckte sich eine Zigarre an, ein großes unförmiges Ding. Der Gestank hing zwar bis in den nächsten Tag in der Luft, aber irgendwie gefiel er Kim. Nichts sonst, das sie kannte, roch so scharf und würzig wie diese Zigarre.
Mit einem lauten Krachen wurde die Tür aufgerissen. So ungestüm kamen sonst weder Munk noch Dörthe herein. Kim richtete sich auf und blickte zur Tür hinüber.
In dem Licht, das durch die geöffnete Tür fiel, sah sie, dass Munk taumelte. Unsicher setzte er einen Schritt vor den anderen. Dabei murmelte er etwas vor sich hin, das sie nicht genau verstehen konnte. Es klang wie »Nein, niemals«.
Er hatte die kleine Lampe, die neben der Tür hing, nicht angeschaltet, und als er ihr Gatter erreichte, merkte sie, dass er anders roch als gewöhnlich, nicht nach scharfem Tabak oder frischer Farbe. Die Hand, die er auf das hölzerne Gatter legte, war voller Blut.
Einen Moment blickte er Kim in die Augen, so als würde ihm endlich klar werden, dass sie ihn verstand. Seine Wangen, die mit einem kurzen, grauen Bart überzogen waren, spannten sich wie unter einer großen Anstrengung, und der schmale Mund formte ein Wort. Kim richtete ihre Ohren auf und kniff die Augen zusammen. Die Borsten auf ihrem Rücken sprangen in die Höhe, so angespannt lauschte sie. Was sagte Munk da, und wieso war seine Hand blutig? Sie wagte jedoch nicht, einen Schritt näher zu gehen, als könnte das Mondlicht, in dem sie stand, sie beschützen.
»Klee«, formte Munks bleicher Mund. Ja, dieses Wort kannte sie – kaum etwas mochte sie lieber als saftigen grünen Klee, der leider auf ihrer Wiese nirgendwo mehr wuchs, weil Brunst ihm den Garaus gemacht hatte.
Dann würgte Munk, und ein Blutschwall drang über seine Lippen. Mit einer ungeschickten Bewegung öffnete er das Gatter und kippte nach vorn. Er schwankte, sein Mund öffnete sich erneut, Blut quoll heraus, färbte seine Zähne tiefrot, er sank auf die Knie und fiel wie ein Sack mitten hinein in ihren Pferch.
Es geschah alles so schnell, dass Kim nur laut aufschnauben konnte. Warum tat Munk das? Noch nie war er nachts in ihren Pferch gekommen, geschweige denn dass er auf die Knie gesunken war. Schnell trat sie einen Schritt zurück. Ihr Kopf zuckte voller Panik in die Höhe. War da noch jemand? Wo war Dörthe? In der Tür tauchte ein Schatten auf, der aber sofort wieder verschwand, bevor sie ihn genauer fixieren konnte.
Munk, der Maler, lag im Mondlicht da. Den Kopf hatte er gedreht, als wollte er Kim anschauen. Sein Mund formte keine Worte mehr, kein Hauch kam über seine Lippen. Seine bärtigen Wangen waren grau und eingefallen. Er war immer schon recht mager gewesen, aber nun wirkte er sterbenskrank.
Dann
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