Rampensau
ebenfalls schwarz gekleidete Menschen hinter ihm wahrnahm, begriff Kim, dass er tatsächlich gegen sie heranstürmte. Sie ließ das Kreuz los und tat einen langen Atemzug, um schließlich Lunke zu folgen, der schon mit wilden Grunzern den Rückzug angetreten hatte.
Epilog
»Na«, sagte der ewig lächelnde Bertie, »was habe ich dir gesagt? Ist doch alles gut gegangen, oder?«
Kim bemerkte, dass sie wieder auf ihrer Wiese lag. Sie hatte allerdings keine Ahnung, wie sie dorthin gekommen war. Geflogen war sie wohl kaum, also musste Lunke ihr vom Friedhof den Weg gezeigt und sie begleitet haben. Doch sie hatte keinerlei Erinnerung daran. Sie war völlig erschöpft, und noch immer hatte sie den Geschmack des Holzkreuzes im Maul.
Es war alles gut gegangen? Bevor der Schwarzgewandete sich mit dem Kreuz auf sie stürzen konnte, hatte sie gesehen, wie die drei Männer sich blutend und stöhnend auf dem Boden gewälzt hatten. Einzig Edy hatte sie angeschaut und ihr etwas hinterhergerufen, das wie ein Fluch geklungen hatte. Er würde wohl nun auch eine lange Zeit nicht mehr zu ihnen kommen und sich um sie kümmern.
Doktor Pik, Brunst, Che und Cecile trabten auf die Wiese und begannen sofort nach Fressen Ausschau zu halten.
Fressen? Kim hatte das Gefühl, nie mehr auch nur einen Grashalm schlucken zu können.
Dann beobachtete sie, dass der dunkelblaue Wagen, den sie schon so gut kannte, auf den Hof fuhr. Marcia Pölk sprang heraus und klingelte an der Haustür. Fragend warf sie Kim einen Blick zu und schien die anderen Schweine zu zählen – ob sie alle auf der Wiese waren.
Als Dörthe in der Tür erschien, reichte die Polizistin ihr die Hand, dann redeten die beiden miteinander, und plötzlich sank Dörthe zusammen, ging buchstäblich in die Knie.
»Finn – dieser verdammte Mistkerl«, rief sie stöhnend aus, ehe sie kraftlos auf das Pflaster sackte.
Voller Angst rannte Kim zum Zaun und grunzte ihre Besorgnis heraus. Marcia Pölk hielt Dörthes Kopf ein wenig in die Höhe und sprach dabei in den silberfarbenen Apparat hinein, den sie sich ans Ohr hielt.
»Ja, Bertie«, sagte Kim leise vor sich hin. »Hast recht, es ist alles gut gegangen – nur dass Dörthe anscheinend von einem Moment auf den anderen schwerkrank geworden ist.«
Eine kleine Weile später, in der die Polizistin beruhigend auf Dörthe einredete, raste ein rot-weißer Wagen mit Blaulicht auf den Hof. Ein Mann in einem weißen Kittel, den ein Geruch von Chemie und Krankheit umgab, sprang heraus und half zusammen mit der Polizistin Dörthe auf die Beine, um sie zu der hinteren Tür des Wagens zu führen, die von innen geöffnet wurde. Kim konnte einen Blick in das Innere erhaschen – und da sah sie ihn: Klein und schreckensbleich hockte der Schwarzgewandete da, nun ohne Kreuz in der Hand. Als er Kim erblickte, hob er seine rechte Hand, deutete mit wirrem Blick auf sie und stammelte: »Da … da ist der Satan.«
Glücklicherweise zog im nächsten Moment der Mann im weißen Kittel die Tür zu, ohne dem Gestammel des Mannes Beachtung zu schenken.
»Bist du ein Satan?«, fragte Cecile, die plötzlich neben ihr stand. »Was ist denn ein Satan? Wieso hat der Mann das gesagt?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Kim einsilbig und wandte sich ab.
Großartig, Bertie, sprach sie stumm in sich hinein, ich bin ein Satan – was wohl eine Art Unschwein sein musste –, und Dörthe ist auch noch weg. Niemand ist mehr auf dem Hof, der sich um uns kümmern kann.
Doch der Bertie, den sie vor sich sah, lächelte nur.
Die anderen Schweine liefen über die Wiese, als wäre nichts geschehen. Nicht einmal Doktor Pik stellte ihr eine Frage – über Lunke, die abermals verschwundene Dörthe und wo Kim gewesen war.
Frieden, dachte Kim, es sieht nach Frieden aus. Nur dass man uns vergessen hat. Wir müssen ausbrechen – oder wir werden elendig verhungern und verdursten.
Ihre Stimmung war am Nullpunkt angekommen. Was war mit Dörthe und dem Kind – warum hatte sie all die Strapazen auf sich genommen, sie zu retten?
Gegen Abend erst regte sich wieder etwas auf dem Hof. Ein Wagen rollte langsam heran. Kim kniff die Augen zusammen. Dörthe stieg schwankend aus, ein Mann, der leicht gebückt ging, sprang ihr zur Seite. Kim spürte, wie ihr Herz zu rasen begann. Sie musste sich irren: Robert Munk war tot! Wie konnte er plötzlich wieder neben ihr stehen?
Doch dann erinnerte sie sich, dass der Maler einen Bruder gehabt hatte, der genauso ausgesehen hatte wie er.
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