RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
huldigten,
schenkten diese ihnen Wunder wie diesen riesigen Türkis, den ein junger
Arbeiter mit begnadeten Händen vorzeigte und emporhielt.
In der unwegsamen Berglandschaft hatte die Expedition
keinen Überraschungsangriff zu fürchten. Niemand konnte diese steilen Hänge
erklimmen, ohne von den Spähern gesichtet zu werden, daher war Ramses’ Aufgabe
ungemein leicht. An den ersten Tagen ließ er noch eiserne Disziplin walten, die
aber bald schon übertrieben erschien. Er wahrte zwar gewisse
Sicherheitsvorkehrungen, gestattete aber den Soldaten auch Muße und ausgedehnte
Mittagsruhe, die sie über alles schätzten.
Da er selbst keinen Müßiggang ertragen konnte,
versuchte er Moses zu helfen. Doch sein Freund ließ nicht mit sich reden, er
wollte seinen Pflichten allein nachkommen. Auch bei den Bergleuten hatte der
Prinz keinen Erfolg. Sie rieten ihm ab, sich allzu lange in den Stollen
aufzuhalten. Schließlich befahl ihm ein zornentbrannter Bakhen, sich
zufriedenzugeben mit dem ihm zugeteilten Posten und den Arbeitsablauf im
Steinbruch nicht zu stören.
Also widmete Ramses sich ganz seinen Untergebenen. Er
befragte sie über ihren beruflichen Werdegang, ihre Familien, hatte ein Ohr für
ihre Klagen, verwarf die eine oder andere Kritik und hieß wieder andere gut.
Sie wünschten sich einen besser entlohnten Lebensabend und mehr Anerkennung
gemäß den geleisteten Diensten unter oft schwierigen Umständen, fern ihres
heimatlichen Bodens. Wenige von ihnen hatten Gelegenheit gehabt, sich im Kampf
zu beweisen, aber alle hatten in den Steinbrüchen, auf großen Baustellen oder
auf Expeditionen wie dieser Dienst getan. Obwohl sie es nicht leicht hatten,
waren sie doch stolz auf ihre Arbeit. Und welch herrliche Geschichten wußten
jene zu berichten, die das Glück gehabt hatten, mit dem Pharao durchs Land zu
ziehen!
Ramses beobachtete.
Er lernte den Alltag des Abbaubetriebs kennen,
erkannte die Notwendigkeit einer Rangordnung, die auf Kenntnissen und nicht auf
Rechten fußte, unterschied zwischen Arbeitseifrigen und Müßiggängern, zwischen
Ausdauer und Flatterhaftigkeit, zwischen Schweigern und Schwätzern. Und stets
kehrte sein Blick zu den Stelen zurück, die die Vorfahren errichtet hatten, zu
dieser Geradlinigkeit, die jenes Wesen verlangt hatte, das auch der Wüste etwas
Heiliges ins Herz pflanzte.
»Sie sind überwältigend, nicht wahr?«
Sein Vater hatte ihn überrascht.
In dem schlichten Schurz, wie ihn auch seine Vorgänger
im Alten Reich getragen hauen, verkörperte er dennoch den Pharao. Von ihm ging
eine Kraft aus, die Ramses bei jeder Begegnung von neuem beeindruckte. Sethos
bedurfte keiner Herrschaftszeichen, seine Gegenwart reichte aus, um seine Macht
herauszustellen. Kein anderer verfügte über solch magische Kräfte. Die anderen
nutzten Kunstkniffe oder gekünsteltes Gehabe, Sethos brauchte nur zu
erscheinen, und schon wurde aus Chaos Ordnung.
»Sie stimmen mich besinnlich«, bekannte Ramses.
»Sie sind lebendige Sprache. Anders als die Menschen
lügen und verraten sie nie. Die Bauwerke eines Tyrannen werden zerstört, die
Taten eines Lügners sind vergängliche Werke. Des Pharaos Stärke beruht allein
auf dem Gesetz der Maat.«
Ramses war erschüttert, galten diese Worte ihm? Hatte
er zerstört, verraten oder gelogen? Er wollte aufspringen, bis zum Rand der
Hochebene laufen, den Abhang hinunter und in der Wüste untertauchen. Welchen
Fehler hatte er bloß begangen? Er erwartete eine genauere Beschuldigung, aber
sie kam nicht. Der König richtete den Blick in die Ferne.
Chenar! Natürlich, sein Vater spielte auf Chenar an,
ganz sicher, er nannte ihn nur nicht beim Namen! Er hatte seine Schliche
durchschaut und deutete Ramses hiermit seinen wahren Rang an. Wieder würde sich
das Schicksal wandeln! Der Prinz war überzeugt, diese Worte waren ein Lob für
ihn, und er schwankte zwischen Hoffnung und Enttäuschung.
»Welches Ziel hat diese Expedition?«
Ramses zögerte, verbarg sich hinter dieser einfachen
Frage vielleicht eine Falle?
»Türkise heimzubringen für die Götter.«
»Sind sie unerläßlich für den Wohlstand des Landes?«
»Nein, aber wie könnten wir ihrer Schönheit entsagen?«
»Gewinn soll nicht unseren Reichtum begründen, er
würde ihn von innen her zerstören. Erkenne in jedem Wesen und in jedem Ding
das, was seinen Ruhm ausmacht, das heißt seine Beschaffenheit, seinen Wert,
seine Ausstrahlung und seinen Geist. Suche, was sich nicht ersetzen läßt.«
Ramses war, als
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