Ramses Mueller
gequält grinsend über das vermeintlich neckisch gemeinte »Arschloch« seine karierte H&M-Unterhose an.
– Nein, wollte nur …
Er deutet in irgendeine Richtung und hofft, Ramses versteht und spürt die Wellen seines Unterleibsschmerzes, irgendwelche Atome werden da sicher etwas anschieben, und wenn, hofft er, in seinem Gesicht.
– Klo? Den Korridor weiter, zweite Tür links, brauchst nicht sitzen, heute Nachmittag kommt die Putzfrau, außer du musst groß .
Armin folgt dem Gang, den er sich einbildet, noch nie gesehen zu haben, ein Korridor, »Schock Korridor« murmelt er vor sich hin, wie so ein Film über einen sich selbst einweisenden Irrenhausinsassen (er natürlich), an der Wand hängt ein riesiges Sade-Plakat, die Sängerin, Smooth Operator , Sades Lippen sind wirklich sehr groß, riesig, solche Lippen können keinen Hardrock singen, sie würden doch sofort rissig werden wie ein Acker bei großer Dürre, denkt er, so, wie es sich in seinem Mund anfühlt, unten Flüssigkeit »satt«, oben Eritrea, klassisches Nord-Süd-Gefälle, im Klo bekommt er einen Schreck, da steht ein Hund, aber es ist zum Glück ein ausgestopfter, einer mit Glasaugen, und ein Ohr ist abgebrochen, aus der Lücke quillt ein Gips/Draht/Holzwolle-Gemisch, das Pissen dauert lange, er schaut immer auf den Sekundenzeiger seiner Raketa-Uhr, einmal hat er neunzig Sekunden geschafft, das sagt natürlich nichts über die Menge aus, weil die Harnröhre ja verengt ist, je voller die Blase, desto enger das sogenannte Nudelauge, das kleine Löchlein vorne, desto weniger kommt also raus, so, als könne sie sich nur schwer trennen vom Urin, der Ausgang musste ja die ganze Nacht die Pisse eindämmen, man hatte sich aneinander gewöhnt, Heineken, denkt er, obwohl er gar kein Heineken getrunken hat, oder doch? Kyle MacLachlan sagt doch laut, befreiend laut, Heinecken, als er in Blue Velvet in Isabella Rossellinis Wohnung pinkelt, also nicht direkt in die Wohnung, sondern ins Klo, und so Laura Derns Warngehupe nicht hört, weil die Spülung es übertönt, und dann geht alles los, ah ja, der Hund ohne Ohr, der ihn anstarrt: »Tu es für van Gogh«, Isabellas Mann haben sie ja auch ein Ohr abgeschnitten, es geht ihm etwas besser, das Gehirn kann schon wieder ein bisschen assoziieren, und das gar nicht mal so übel, das lenkt ab, vielleicht denkt Ramses ja wirklich, er sei Schubal, dann kann er sich den Ulf-Unsinn sparen, dann käme man eleganter aus der Nummer hier raus, Armin hat nie existiert, immer nur einer namens Schubal, und wenn er Ramses noch mal irgendwann irgendwo treffen sollte, könnte man ja ahnungslos tun, Armin wer? Nachher würde er noch ein bisschen mit ihm über David Lynch reden, alles halb so wild, wie er in das Bett rein-, und aus sämtlichen Hosen rausgekommen ist, das lässt sich immer noch klären en passant , und im besten Fall hat es Ramses auch vergessen, oh, 95 Sekunden, Rekord, aber wie gesagt, sagt nichts über das Fassungsvermögen der Blase aus, einmal hat er alte Bierflaschen an so einem Morgen wieder befüllt, rückbefüllt, ist Pisse, wird Pisse, wird abermals zu Pisse, die Pisse werden kann, ein unendlicher Kreislauf, mit minimalen Verlusten, das wird dann Kondenswasser in Berliner Taxis, ja, der Pisskreislauf, das war doch gestern immer das Thema, er kam damals auf viereinhalb, Flaschen, normale, das sind etwas über zwei Liter, ungefähr sieben kleine Flaschen, oh Gott, Beck’s Gold hatten sie ja gestern den ganzen halben Abend gehabt, langsam zwängen sich zwischen seine schönen Zahlen und Statistiken und Blue-Velvet -Szenen gestrige Fetzen, so, wie sich der Himmel vor einem Wolkenbruch verklumpt, eine Wolke dockt an die andere, und aus Weiß wird langsam Schwarz, und aus Schwarz wieder Weiß, oder Regen, Lydia, Schlingensief, White Trash, Schubal, was ist das eigentlich für einer? Der hat ihn doch hier in die Scheiße reingeritten, in die Verfilmung des Durs-Grünbein-Buchs, oder eins von Burkhard Spinnen, das Spinnenbuch, Schubal, der geborene Verlierer, glaubt auf allen Listen zu stehen, so ein geringes Selbstwertgefühl hat der, er steht neben der Spur, neben allem, sogar neben sich selbst, Schizoschubal. Tankred Dorst, Schizoschubal – Der Ring schließt sich , dtv, 8,90 €.
Aus dem Schlafzimmer dröhnt Musik, Ramses hat sich zum Anziehen Musik angemacht, ein Mann singt extrem tief, so wie Sisters of Mercy oder Type O Negative, Düsterrocker, ach, so was hört Heiner Müllers Enkel? Also, Schwulenmusik
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