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Ramses Mueller

Titel: Ramses Mueller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tex Rubinowitz
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Haus in Charlottenburg, aus einem Fenster hängt ein Bettlaken, auf dem NIE WIEDER ANTIFASCHISMUS zu lesen steht, das wird wohl Schlinges Wohnung sein, sie steigen aus, Ramses zahlt, wie Schubal zu seiner Erleichterung feststellt, Lydia zieht einen Taschenspiegel hervor und verödet mit einem Wattepad die durch die Tränen verursachten Kajalsrinnsale.
    Man betritt das Haus, im dritten Stock ist die Tür geöffnet, sie werfen ihre Mäntel auf den Mantelberg, es sind schon viele Leute anwesend, Schlingensief spricht intensiv mit jemandem, den man kennt oder der so aussieht, als ob man ihn kennen müsste, Barremensch oder Müllermensch? Als die kleine Ramsesgruppe in die Wohnung kommt, eilt er ihnen zur Begrüßung entgegen, an seinen Haaren zupfend, sie aufstellend, so, als sei es eine Krone, die immer wieder in sich zusammenfällt, die er aber wohl braucht, um anzuzeigen, wer regiert, er sieht selbst aus wie ein Schlingensiefdarsteller, und die Haare wie Drähte, die aus seinem Gehirn wuchern. Auf seinem Camoufl age-T-Shirt steht Anti Warhole (on the dancefl oor), Ramses begrüßt er mit Wangenküssen.
    – Ramski-Korsakoff, freut mich, oh, deine Leute, kommt rein, Freunde, Leute, Landläuse!
    Er scheint »gut drauf« zu sein, strahlt Lydia an, nimmt ihre zarte Hand mit beiden Händen, so, wie es Politiker immer machen, was das wohl soll? Geborgenheit vermitteln? Ich will dich fressen? Wahrscheinlich beides. Lydia schaut zu Boden, schamvoll. Jetzt ist Schubal dran: Armin?
    Armin eilfertig, während Schubal verdattert seine Hand ausstreckt: Ich, äh, schon länger her.
    Schlingensief, sein Gesicht wird noch strahlender.
    – Armin Bielefeld! Ich hätte dich nicht mehr erkannt, groß geworden, haha, das Buch?
    Armin fühlt sich, als würde er schon lange durch die Wüste kriechen, den ganzen Mund voller Staub, jetzt lässt er es drauf ankommen, er zieht Neruda raus und schiebt es ihm entgegen.
    – Ja, endlich!
    Und das ist jetzt das Glas Wasser, das Schingensief ihm reicht.
    – Ich hing, ich hänge da sehr dran, hätte mir das ja nachkaufen könne, aber das ist eins der ersten Bücher, die ich mir selbst gekauft bzw. geklaut hab damals, da hängt viel dran, erste Platte, erstes Buch, erste Freundin …
    Er zwinkert Schubal zu und deutet mit seinem Kopf unmerklich gen Lydia, die die Geste nicht erkennen und also nicht deuten kann, weil sie untrennbar ist von der sie begleitenden Mimik, für sie sieht es aus, als wolle er seine Halswirbel sortieren. Armin fühlt sich plötzlich sehr ausgeschlossen und einsam, alle scheinen hier irgendwie verbunden zu sein, und ich muss so tun, als sei ich es auch, aber was bin ich, und wodurch bin ich es? Durch einen Lottogewinn, das einmillionste Buch, die kleinste nur denkbare Schnittmenge, woher weiß Schlingensief etwas, wovon noch nicht mal ich etwas weiß? Armin hat keine Probleme damit, dass andere Menschen klüger sind als er, aber hier, in diesem Fall, hätte er mehr wissen müssen, jemand zieht ihm den Teppich unter den Füßen weg, überführt ihn nicht einer Lüge, sondern bestätigt sie. Eine auf dem Sand des Zufalls aufgebaute Zukunft, das kann erregend sein, da bleibt man wach, muss man wach bleiben, aber sie bleibt auch gleichermaßen fragil wie bedrohlich.
    – Die Menschen werden von den Meinungen gepeinigt, die sie von den Dingen haben, nicht von den Dingen selbst, sagt Schlingensief schief lachend, auf das Buch tippend.
    Armin denkt: Heute Morgen hatte ich noch keinen Plan für den Abend, und jetzt gerate ich gerade in einen, aber keinen guten, den ein anderer für mich macht, was und wo bin noch ich? Er fühlt sich nicht wie ein Huhn ohne Kopf, sondern wie eines mit zwei Köpfen. Ein Mehrpersonenschizo? Ich bin Nihilist, nimmt er sich vor, bei der nächsten Gelegenheit zu sagen, wenn er mal gefragt wird, mit dem Nihilismus kann man nicht nur nichts falsch machen, sondern alles richtig.
    Er sei ein Erfinder, der Dinge erfindet, die schnell kaputtgehen, kann sich vor Aufträgen kaum retten, sagt jemand neben ihm, er dreht sich um, es ist Ramses, der das sagt, genau, das hatte man ja noch gar nicht geklärt, wer was macht und warum. Firmen würden in ihren Produktentwicklungsabteilungen immer auch Leute haben, die Fehler, Sollbruchstellen einbauen, das erhalte eine Firma am Leben, wenn das Produkt nicht ewig hält, allein vom Ruf, die Firma stelle Dinge für die Ewigkeit her, könne man nicht leben, mit der Devise geht man, technisch gesehen, zugrunde. Natürlich

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