Ramses Mueller
Euphemismus für Alkoholismus. Du wirst hier schon nicht vertrocknen.
– Durst ist doch auch nur ein Wort, die Worte fallen in das Getriebe der Welt – uneinholbar. Du bist paranoid, ich trinke nicht mehr und nicht weniger als alle hier in dem Lokal, außerdem trinkst du auch.
– Aber du säufst.
– Vorhin hast du noch gesagt, ich bin kein Säufer, sondern Trinker von Beruf.
– Ich will dir mal was sagen, mein Freund, ich sehe deine Trinkerei als direkte Bedrohung an, nicht nur für dich, sondern auch für mich.
– Um mich mach dir mal keine Sorgen.
– Mach ich aber, und um mich auch.
– Schön, weißt du, was ich glaube?
– Was glaubst du denn?
– Ich glaube langsam, dass nicht meine Eifersucht, meine angebliche Eifersucht dich nervt, sondern, dass im Gegenteil DU eifersüchtig bist auf mein Trinkverhalten, du bist überhaupt übel gelaunt schon den ganzen Abend.
– Nein, DU bist schlecht gelaunt, weil du die Wahrheit nicht erträgst, und nur erträgst, wenn du besoffen bist.
– Ich finde das sehr lustig …
– Ich find das überhaupt nicht lustig.
– … wie du dich auf das Eigentliche hinassoziierst, es ist anscheinend so, dass wir beide eifersüchtig sind.
– Ich geh jetzt.
– Nein, ich geh.
– Wohin?
– An die Bar, ich hol mir noch was, der Barmann muss ja auch irgendwie leben.
– War ja klar.
– Also, du gehst jetzt, und in einer halben Stunde kommst du wieder? Wie üblich? Du weißt ja, wo du mich findest, vielleicht kommt ja nachher noch Carla Bruni vorbei, haha.
– Nein, diesmal geh ich für immer.
– Werden wir ja sehn.
– Wirst DU sehen, nicht ich, DU wirst mich nämlich gar nicht mehr sehen.
– Ja, ciao, vergiss deinen Schal nicht, Schals sind die häufigstvergessenen Kleidungsstücke, noch vor Schirmen.
Haußmann würde zur Bar gehen, Lydia wutschnaubend das Lokal verlassen, Haußmann holt sich einen Whiskey, Heiner Müllers Lieblingsgetränk, dicke Zigarre wäre jetzt noch schön, setzt sich wieder an den Tisch, schaut sich das Glas an, fast liebevoll, sagt lächelnd:
– Na, du? Du brauchst keinen Schal, nicht?
Das geht alles blitzschnell, diese Szenarios, so kann man alles enden lassen, es macht ihm sogar Spaß, Endszenarios zu entwickeln, für den Fall, dass er sich verliebt oder sich jemand in ihn, das sind Schemata, Module, die man nur zusammenpappen braucht, und schon entsteht das bekannte Ende aus Missverständnissen und menschlichem Schmelzkäse. Andererseits, so schnippisch, so dominant wäre Lydia nicht, er biegt sie sich jetzt so zurecht, das ist seine Wunschlydia, so kommt man leichter aus etwas heraus, wenn die Frau auf den Tisch haut, das ist doch das, was er will, der Feminismus, ulkig, der Feminismus ist männlich, was die Frauen wollen, dass die Männer passiv sind, dass sie gar nichts mehr tun müssen, »für eine bessere Welt, in der die Frauen die Kriege alleine führen müssen«, wie es in dem einen Lied heißt, das er heute Morgen gehört hatte, im Radio, bevor er hierher kam, in die Wohnung von Ben, das Komische ist, dass seine Gedanken so gehetzt vorbeiflitzen, sich ballen und wieder auseinanderreißen, er sich auch so klein und beschmutzt und geprügelt fühlt, als sei er verkatert, dabei hatte er gestern den ganzen Abend auf seiner Premierenfeier nur drei kleine Biere getrunken, drei kleine Biere in acht Stunden oder so, das kriegt der Körper und die Psyche ja gar nicht mit, das geht ja wie eine Schnecke durch ihn durch, nein, wie ein Blitz, eine blitzschnelle Schnecke, er hatte also praktisch gar nichts, eine gesunde Dosis, vielleicht zieht ihn die Gruppe hier so runter, deren Kaputtheit überträgt sich auf ihn, eine übertragbare Verkaterung, er absorbiert deren Leid, seine übermäßige Empathie, die ihm so oft eine Mauer ist, ihr Leid, und das kann man an ihren blassen Gesichtern ablesen, schwirrt wie heimatlose Atome oder Drohnen umher, der eine ist so fahl, dass man glauben könnte, das sei eine Form von Mimikry, weil die Wand, an der er lehnt, ebenso weiß ist. Komisch, dass Drohnen vom Artikel her weiblich sind, obwohl das ja Männchen sind, ist das ein versteckter Hinweis aufs Matriarchat, das kommende? Männchen, die zu nichts zu gebrauchen sind, die die ganze Zeit im Bienenstock oder Ameisenhaufen lümmeln, gepäppelt werden und verteidigt, die sich ein Jahr ausruhen, und dann fliegen sie einmal, und das war’s dann, dann sterben sie, so wie Spermien, ist das die Zukunft, wie sie die Frauen für uns vorsehen? Dass
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