rank und schlank und rattenscharf
egal ob groß oder klein!
Ich bitte meinen hübschen Engel, mitten auf der Straße stehen zu bleiben und drücke ihr die Hundeleine in die Hand. Diesen Moment möchte ich als Foto festhalten, als Erinnerung an diesen wunderschönen Tag. Kira hat nichts dagegen. Geht doch.
Diese Frau muss ein Engel sein. Mein Gott, gibt es schöne Engel! Ich hatte immer ein gestörtes Verhältnis zu Engeln, warum weiß ich auch nicht. Sie kamen in meiner Hierarchie direkt hinter den Gartenzwergen. Aber unser angespanntes Verhältnis hat sich von dem Tag an verändert, an dem ich von einer Frau einen Porzellanengel geschenkt bekommen habe. — Ich überlegte, wo ich ihn bei mir zuhause verstecken sollte, in meiner unmittelbaren Nähe wollte ich ihn auf gar keinen Fall haben. Zuerst stand er in meinem Büro, dann zeigte ich ihn Anne, später meiner Tochter und immer wieder stellte ich ihn woanders hin, bis er letztendlich auf meinem Nachttisch landete, da steht er noch heute. — Irgendwie hinterlistig, diese Engel, oder nicht?
Wir gehen zusammen weiter und noch bevor wir die Pension erreichen, winkt mir von der gegenüberliegenden Straßenseite der nächste blonde Engel zu. — Die Frau kenne ich doch, sie war gestern auch in dieser Herberge! Ich deute meinem Engel an, sie soll allein zur Pension zurückgehen, die bereits in Sichtweite ist. Auf der anderen Straßenseite werde ich bereits von der blonden Frau erwartet. Ich setzte mich zu ihr an den Tisch. Sie ist die fünfundzwanzig Kilometer bis Sahagún heute schon gelaufen und hat sich ihr Pilgermenü bereits verdient. Kira bekommt die fettigen Speckstreifen, die auf dem Tellerrand liegen, und ich bestelle mir einen Kaffee.
Wir unterhalten uns über alles Mögliche, auch über Gott, jeder erzählt über persönliche Lebenserfahrungen. Ich erzähle ihr auch von den Geschehnissen der letzten Nacht. Diese Nacht hat mir einiges abverlangt. Wichtig war, klare Grenzen zu setzen. Sie erklärt mir, dass der Jakobsweg Dinge hervorbringt, die man vielleicht in ähnlicher Art früher schon einmal erlebt hat. — „Aha, meinst Du? Das kann stimmen“, sage ich und erzähle ihr von einem unangenehmen, prägenden Erlebnis, das ich mit gerade achtzehn Jahren hatte. — „Siehst Du.“ — Sie kommt aus Deutschland und stammt aus der ehemaligen DDR. „Du kommst aus der DDR? Ich bin auch in der DDR geboren, an der Oder. Meine Eltern, mein Bruder und ich sind 1956 abgehauen, da war ich erst zweieinhalb Jahre.“
Das war ein guter Entschluss, dass meine Eltern geflüchtet sind. Ich kann mich schemenhaft an diese Zeit erinnern. Als kleines Kind habe ich keinen Hunger mehr erlebt, aber wir waren sehr arm, das habe ich gespürt. In den ersten Jahren meiner Schulzeit habe ich das am eigenen Leib erfahren. Ein damaliger Lehrer der Grundschule hatte seine Schüler in arm und reich unterteilt und dementsprechend behandelt. Bestimmte ungerechte Erlebnisse haben sich auf meiner Festplatte eingebrannt. Ich kann bis heute schlecht mit Ungerechtigkeit umgehen. Das hat bestimmt damit zu tun, dass ich bei spürbarer Ungerechtigkeit meinen Mund aufmachen muss. Als Kind traute ich mich nicht und habe oft sehr darunter gelitten. — Ich müsste es noch viel häufiger tun, aber ich mische mich nur noch bei Dingen ein, die ich ändern kann. Bei allem anderen sollte ich gelassener reagieren, das will ich üben.
Das war das richtige Gespräch heute Mittag und ich bekam so manch eine Antwort auf meine Fragen. Wir wünschen uns einen Buen Camino und ich gehe zurück zur Pension. Eine Frau aus Österreich sitzt im Eingangsbereich vor einem Computer und ruft ihre E-Mails ab. Ich bin erstaunt darüber, wie es funktioniert und frage sie: „Geht das ohne Probleme?“ — „Warum denn nicht?“ — Ich stelle mich neben sie und wir unterhalten uns über den Jakobsweg, über seine Anziehungskraft auf Pilger aus der ganzen Welt. Sie sagt, ihr fehle die Spiritualität auf dem Jakobsweg. Kirchen zu besichtigen wäre ganz schön, aber dennoch fehle ihr was. — „Aha, ich habe erst eine Kirche von innen gesehen. Mit Kira, meinem Hund, ist es fast unmöglich.“ — Muss man überhaupt Kirchen und Kathedralen auf diesem Weg besichtigen? Warum eigentlich? Bekanntschaft mit Gott kann ich überall machen. Dafür brauche ich die Kirche nicht. Die Kirche ist ein Ort der Ruhe, Gemeinschaft, das Wort Gottes. Kirchen sind wichtig. Ich hatte den Kontakt verloren und ihn nach über dreißig Jahren für mich wieder gefunden.
Die
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