rank und schlank und rattenscharf
Frau sitzt immer noch vor dem Computer. Und ich denke: Wer sich mit E-Mails schreiben und abrufen aufhält, wer seine Fotos verschickt oder sich mit anderem unnötigen Kram aufhält, wird die Spiritualität des Jakobsweges so schnell nicht erfahren. — Mit dem Handy SMS zu schreiben oder zu telefonieren ist auch nicht viel besser. Aber ich bin froh, dass ich eins habe und einmal am Tag mit Anne sprechen und ihre Stimme hören kann, sonst hätte ich niemanden, mit dem ich sprechen könnte.
Nachdem sie aufgestanden ist, setze ich mich auf ihren Stuhl und versuche es auch mal, an meine E-Mails zu kommen. Nur unwichtiger Kram ist in meinem Briefkasten. Eine Nachricht ist jedoch dabei, die es sich lohnt, zu lesen. Ein Kunde wünscht mir mit sehr liebevollen Worten einen Buen Camino und tolle Erfahrungen. — Die mache ich hier jeden Tag. — Gut, dass es diese Nachricht gab, ansonsten brauche ich keine weiteren E-Mails.
Ich frage die Österreicherin: „Haben Sie Lust, heute Abend mit mir Essen zu gehen?“ — „Ich habe noch Butterbrote, ich will sie nicht wegwerfen.“ — „Kann ich verstehen.“ — Also dann nicht. Ich mache ein verständnisvolles Gesicht. Vielleicht ist es auch besser so. Wahrscheinlich hätte ich versucht, ihr die Zwiespältigkeit zwischen E-Mails und Jakobsweg zu erklären. Darauf habe ich keinen Bock, das muss jeder selbst erkennen.
Ich gehe allein in die Stadt, Kira habe ich im Zimmer zurückgelassen. Bevor ich Sahagún verlasse, sollte ich endlich meine Uhr reparieren lassen. Ich finde an einem Platz zwischen Restaurants und Geschäften einen Uhrmacher. Der netten Angestellten erkläre ich die Problematik, dass ich meine Uhr schnellstmöglich zurück brauche, also morgen früh. Ich bin Pilger, unterwegs auf dem Camino nach Santiago de Compostela. — „OK, für morgen.“ — „Gracias, bis morgen.“
Es macht wenig Spaß, allein zu essen. Ein anderer Mann sitzt ebenfalls in diesem Raum allein am Tisch. Ob er auch Pilger ist? Ich weiß es nicht und habe auch keine Lust, ihn zu fragen. Lieber bleibe ich allein, ich habe keine Lust auf ein Gespräch in Englisch.
Für Kira bringe ich in einer Serviette die übrig gebliebenen Knochen mit. Als ich an der Pension ankomme, sitzen noch mehrere Leute auf der großen Terrasse. Sie unterhalten sich und trinken gemeinsam Bier und Wein. Es ist heute Abend schwülwarm und ich hole Kira aus meinem Zimmer. Ich setze mich abseits allein an einen Tisch und bestelle mir auch was zu trinken. Mein Zimmer könnte ich heute schon bezahlen, dann habe ich das schon mal geregelt. Ich frage nach was es kostet. — „20,- €.“ — Ich wundere mich über den Preis. Heute morgen hat mir die blonde Frau beim Essen erzählt, dass die Zimmer in dieser Pension 6,- € kosten würden.
Genau in diesem Moment fährt ein Auto mit einem Anhänger auf den Hof. Hier steht es doch schwarz auf weiß auf einem großen Schild geschrieben: „Schlafen 6,- € only“. Ich frage mich, warum ich mehr als das Dreifache zahlen soll? Ich wähle den Publikumsjoker und rufe Anne an: „Hör mal Anne, wie heißt denn das englische Wort für ‚Frage’?“ — „Question. Warum willst Du das denn wissen?“ — „Mir ist das Wort nicht eingefallen. Ich werde mal versuchen, ob ich das mit der jungen Angestellten klären kann, warum ich für mein Zimmer zwanzig Euro bezahlen soll, obwohl auf dem Schild sechs Euro steht.“ — Anne meint, ich solle es lassen. — „Wieso? Dann dürfen sie nicht sechs Euro angeben.“ — Wir beenden das kurze Telefonat und ich fange an, mit der jungen Spanierin zu diskutieren. Das ist mehr als schwierig. Wenn ich sie richtig verstehe, haben sie mir das größte Doppelzimmer gegeben, das sei teurer. Ich erkläre ihr, dass ich überhaupt kein Doppelzimmer wollte. Ein Einzelzimmer wäre gut genug gewesen. Sie meint, ich hätte mir das Zimmer ja mit jemandem teilen können. — Jetzt wird es noch besser! — „Na klar, warum denn nicht? Mit wem denn?“ — Vielleicht mit der Österreicherin. Wir hätten uns die ganze Nacht über die Spiritualität des Jakobsweges unterhalten können, oder mit dem Franzosen, der am Nachbartisch sitzt. Ihn sehe ich seit Tagen und mehrfach hat er versucht, mit mir in Kontakt zu kommen, aber Kira kann ihn überhaupt nicht leiden. — Die ist ja vielleicht lustig. Es hat keinen Zweck, wir reden in unterschiedlichen Sprachen aneinander vorbei. Ich merke, dass ich aufhören muss, sonst wird diese nicht endende
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