Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
Ich glaube, im Gar-B läuft etwas ganz Übles ab.«
Sie mussten das Risiko eingehen, das Auto unbeaufsichtigt stehen zu lassen, da Rebus nicht rechtzeitig daran gedacht hatte, noch einen Dritten mitzunehmen, der die Räder hätte bewachen können. Auf dem Parkplatz lungerten ein paar Kinder herum – nicht dieselben, die ihm schon mal die Reifen aufgestochen hatten –, also gab er ihnen ein paar Pfund und stellte ein paar weitere bei seiner Rückkehr in Aussicht.
»Das ist ja teurer, als in der Stadt zu parken«, beschwerte sich Ormiston, während sie auf die Hochhäuser zugingen. Das Gebäude, in dem die Soutars wohnten, war renoviert und mit einer stabilen Haustür ausgestattet worden, die unerwünschte Versammlungen in der Eingangshalle und im Treppenhaus unterbinden sollte. Die Halle war mit einem grünen und roten Wandgemälde geschmückt worden. Das alles musste man allerdings wissen, um es sehen zu können. Das Schloss war zertrümmert worden, und die Tür hing frei in den Angeln. Das Wandgemälde verschwand praktisch völlig unter Filzstiftschmierereien und dicken schwarzen Knäueln von Sprühfarbe.
»In welchem Stock wohnen die?«, fragte Ormiston.
»Im dritten.«
»Dann nehmen wir die Treppe. In solchen Gegenden trau ich Fahrstühlen nicht.«
Das Treppenhaus war am Ende der Eingangshalle. Die Wände waren zu einer einzigen fortlaufenden Kritzelfläche geworden, aber der Gestank hielt sich in Grenzen. Auf jedem Treppenabsatz lagen leere Cider-Dosen und Zigarettenstummel herum. »Wozu brauchen die einen Jugendklub, wenn sie ein Treppenhaus haben?«, fragte Ormiston.
»Was haben Sie eigentlich gegen den Lift?«
»Manchmal warten die Kids, bis man zwischen zwei Etagen ist, und schalten dann den Strom aus.« Er sah Rebus an. »Meine Schwester wohnt in einem dieser Mietknäste in Oxgangs.«
Im dritten Stock betraten sie einen langen Korridor, der als Windkanal zu dienen schien. An den Wänden gab es zwar weniger Graffiti, dafür aber etliche verfärbte Stellen – Indiz dafür, dass die Bewohner einiges weggeschrubbt hatten. Ein paar Türen besaßen blank polierte Messing-Namensschilder und Fußabtreter. Aber die meisten waren zusätzlich durch eine eiserne Gittertür geschützt, die, wenn die Bewohner ausgingen, zugezogen und verrammelt wurde. Jede Wohnungstür besaß außer einem Sicherheitsschloss noch ein Steckschloss und einen Spion.
»Ich bin schon in Gefängnissen gewesen, in denen es in punkto Sicherheit erheblich laxer zuging.«
Doch bezeichnenderweise wies die Tür mit dem Namen Soutar keinerlei zusätzliche Sicherungen auf – weder Eisengitter noch Spion. Schon diese bloße Tatsache verriet Rebus eine Menge über Davey Soutar, oder zumindest über den Ruf, den er unter Gleichaltrigen genoss. Niemand wäre auf die Idee gekommen, in Daveys Wohnung einzubrechen.
Es gab weder eine Klingel noch einen Türklopfer, also hämmerte Rebus mit der Faust gegen die Türfüllung. Nach einiger Zeit öffnete eine Frau. Erst spähte sie durch einen Spalt, dann zog sie die Tür auf.
»Scheißbullen«, sagte sie. Es war eher eine sachliche Feststellung als ein Werturteil. »Davey, nehm ich an?«
»Ja, es geht um Davey«, antwortete Rebus.
»War er das?« Sie meinte Rebus’ Gesicht, also nickte er. »Und was haben Sie vorher mit ihm getan?«
»Nur das Übliche, Mrs. Soutar«, warf Ormiston ein. »Ein Stück Bleirohr auf die Fußsohlen, ein nasses Handtuch über das Gesicht, Sie wissen ja, wie das läuft.«
Rebus wollte schon etwas sagen, aber Ormiston hatte sie richtig eingeschätzt. Mrs. Soutar lächelte müde und trat zur Seite. »Kommen Sie besser rein. Ein Steak wär jetzt gut für Ihre Augen, aber ich hab nur ein halbes Pfund Hack im Haus, und es ist das billige Zeugs. Da kriegt man mehr Fleisch aus einem hohlen Zahn raus. Das ist mein Mann, Dod.«
Sie hatte sie den kurzen engen Flur entlang in ein kleines Wohnzimmer geführt, in dem sich eine ehrwürdige dreiteilige Polstergarnitur breit machte. Auf dem Sofa lag, die schuhlosen Füße auf einer Armlehne, ein unrasierter Mann in den Vierzigern – oder vielleicht sogar schlecht erhaltenen Dreißigern. Er las einen Kriegscomic und formte dabei die Worte mit den Lippen nach.
»Hi, Dod«, sagte sie laut, »das sind Polizisten. Davey hat grad einem von ihnen eine Kopframme verpasst.«
»Schön für ihn«, sagte Dod, ohne aufzusehen. »Nich persönlich gemeint.«
»Schon in Ordnung.« Neugierig, wie die Aussicht sein mochte, trat Rebus ans Fenster.
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