Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
starb.«
»Und stellen Sie sich vor«, sagte Eleanor, »sie haben das
Baby in Brandy eingelegt.«
»Konserviert?«, steuerte Patience bei.
Eleanor Moncur nickte. »Und wenn der Klipper ein Temperenzlerschiff gewesen wäre, hätten sie statt Brandy Teer
verwendet.«
Clyde Moncur sagte zu Rebus gewandt: » Das waren wirklich harte Zeiten. Das sind die Menschen, die Amerika
aufgebaut haben. Man musste hart sein. Trotz Gewissen
musste es manchmal auch ohne gehen.«
»Ein bisschen wie in Ulster«, steuerte Rebus bei. »Die
haben da ein paar ganz schön taffe Schotten hinverpflanzt.« »Tatsächlich?« Moncur leerte seinen Drink.
Sie entschieden sich gegen eine dritte Runde, da Clyde
seine Frau daran erinnerte, dass sie vor dem Essen noch
ihren Spaziergang zu den Princes Street Gardens und zurück machen wollten. Nachdem sie sich draußen voneinander verabschiedet hatten, nahm Rebus Patience beim Arm
und führte sie hügelabwärts, als wollten sie in die Neustadt. »Wo steht dein Auto?«, fragte er.
»Oben auf der George Street. Und deins?«
»Auch da.«
»Wo gehen wir dann hin?«
Er warf einen Blick über die Schulter, aber die Moncurs
waren nicht mehr zu sehen. »Nirgendwohin«, sagte er und
blieb stehen.
»John«, sagte Patience, »wenn du mich demnächst wieder
als Deckung zu benutzen gedenkst, dann sei doch bitte so
höflich, mich vorher zu fragen.«
»Kannst du mir was leihen, damit ich mich nicht auf die
Suche nach einem Geldautomaten machen muss?«
Sie seufzte und kramte in ihrer Handtasche. »Reichen
zwanzig?«
»Ich hoffe.«
»Es sei denn, du willst wieder in die Bar vom Playfair.« »Ich hab schon Klippfische getroffen, die weniger gesalzen waren als die Preise in dem Laden.«
Er sagte ihr, er würde erst spät, vielleicht sogar sehr spät
nach Hause kommen, und drückte ihr einen Kuss auf die
Wange. Aber sie zog ihn an sich und küsste ihn auf den
Mund.
»Apropos«, sagte sie, »hast du mit der Action-Painterin gesprochen?«
»Ich hab sie gebeten, zum Teufel zu gehen. Was nicht unbedingt heißt, dass sie das auch tun wird.«
»Ich würd’s ihr allerdings dringend empfehlen«, sagte Patience und gab ihm zum Abschied einen letzten Kuss auf die
Wange.
Er schloss gerade seinen Wagen auf, als eine schwere Hand
auf seiner landete. Neben ihm stand Clyde Moncur.
»Wer zum Teufel sind Sie?«, fauchte der Amerikaner, während er sich umsah.
»Niemand«, sagte Rebus und schüttelte die Hand ab. »Ich weiß nicht, was die ganze Scheiße im Hotel sollte, aber
Sie machen künftig besser einen großen Bogen um mich,
Freundchen.«
»Das könnte schwierig werden«, entgegnete Rebus. »Das
hier ist eine kleine Stadt. Meine Stadt, nicht Ihre.«
Moncur trat einen Schritt zurück. Er mochte Ende
sechzig sein, aber die Hand, die er auf die von Rebus gelegt
hatte, war stark. Es lag Kraft und Entschlossenheit in ihr. Er
war ein Mann, der üblicherweise bekam, was er wollte. »Wer sind Sie?«
Rebus setzte sich in den Wagen und fuhr davon, ohne ein
weiteres Wort zu verlieren. Moncur sah ihm nach. Der Amerikaner stand breitbeinig da, hob eine Hand und klopfte
sich, langsam nickend, in Höhe der Achselhöhle auf das
Jackett.
Ein Schießeisen, dachte Rebus. Er sagt mir damit, dass er
eine Waffe hat.
Und dass er sie gegebenenfalls auch benutzen würde.
23
Mairie Henderson besaß eine Wohnung in Portobello, an der Küste östlich der Stadt. In viktorianischer Zeit ein schicker Badeort, war »Porty« im Sommer noch immer ein beliebtes Ziel für Tagesausflüge. Das Haus, in dem Mairie wohnte, lag in einer der Straßen zwischen High Street und Promenade. Durch das heruntergekurbelte Fenster wehte von Zeit zu Zeit eine salzige Brise um Rebus’ Nase.
Als seine Tochter Sammy noch in den Kinderschuhen steckte, war er gelegentlich mit ihr am Strand von Porty spazieren gegangen. Rebus hatte diese Spaziergänge – mit hochgekrempelten Hosenbeinen und vor Kälte erstarrten Füßen
– immer gemocht.
»Wenn wir immer weiter gehen würden, Daddy«, hatte Sammy dann oft gefragt und auf den Horizont gezeigt, »wo würden wir dann ankommen?«
»Auf dem Grund des Meeres.«
Er konnte noch immer ihren erschreckten Blick sehen. Dieses Jahr würde sie zwanzig werden. Zwanzig. Er griff unter seinen Sitz und tastete nach der Notration. Eine Zigarette würde schon nichts schaden. Im Päckchen lag zwischen den Zigaretten auch ein schmales Einwegfeuerzeug.
Hinter Mairies
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