Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
Feuchtigkeit sei jetzt genau das Richtige. Er bestellte einen Talisker, stemmte sich auf einen gut gepolsterten Barhocker und steckte die Hand in das Schälchen Erdnüsse, das bei seinem Näherkommen urplötzlich auf dem
Tresen aufgetaucht war.
Die Bar war leer, würde sich aber schon bald füllen – mit
wohlhabenden Geschäftsleuten auf dem Weg nach Hause,
anderen Businessleuten, die wohlhabend aussehen wollten
und sich das gern etwas kosten ließen, und den Hotelgästen, die sich einen Aperitif genehmigten, ehe sie sich vor
dem Abendessen ein wenig die Beine vertraten. Eine Kellnerin stand untätig am Ende der Theke, nicht weit vom
Stutzflügel entfernt. Der Flügel blieb bis zum Abend zugedeckt. Einstweilen gab’s nur Hintergrundgedudel aus der
Konserve, doch der Trompeter, wer immer das sein mochte,
war alles andere als schlecht. Rebus fragte sich, ob es Chet
Baker sein konnte.
Er bezahlte seinen Drink und versuchte, nicht über die
Summe nachzudenken, die man ihm dafür abgenommen
hatte. Kurz darauf überlegte er es sich anders und bat um
etwas Eis. Der Drink sollte wenigstens ein Weilchen vorhalten. Schließlich kam ein Ehepaar mittleren Alters herein
und setzte sich ein Stück von ihm entfernt an die Bar. Die
Frau schob sich eine kunstvolle Brille auf die Nase, um die
Liste der Cocktails zu studieren, während ihr Mann einen
Drambuie bestellte, den er allerdings »Drambuh-ei« aussprach. Der Mann war klein, aber stämmig und blickte finster drein. Er trug eine weiße Golfmütze und sah in kurzen
Abständen auf seine Uhr. Rebus schaffte es, mit ihm Blickkontakt herzustellen, und prostete ihm zu.
» Sláinte .«
Der Mann nickte, ohne etwas zu sagen, aber seine Frau
lächelte. »Sagen Sie«, begann sie, »sprechen in Schottland
eigentlich noch viele Leute Gälisch?«
Ihr Mann zischte ihr etwas zu, aber Rebus antwortete ihr
nur zu gern. »Nicht viele«, räumte er ein.
»Sind Sie aus Edinburgh?« Klang wie »Ed-im-Bürro«. »Und ob.«
Sie bemerkte, dass Rebus’ Glas nur noch schmelzendes
Eis enthielt. »Dürfen wir Sie einladen?« Der Mann zischte
sie wieder an, sie solle Leute, die in Ruhe einen trinken wollten, nicht belästigen.
Rebus warf einen Blick auf seine Uhr. Dabei rechnete er
rasch nach, ob er sich anschließend eine Gegenrunde würde
leisten können. »Danke, gern. Ich nehme einen Talisker.« »Und was ist das?«
»Ein Malt Whisky, kommt von der Insel Skye. Dort spre-
chen übrigens noch ein paar Leute Gälisch.«
Die Frau fing an, die ersten Töne des Skye Boat Song
zu summen, in dem es um einen französischen Prinzen
geht, der in Frauenkleidern herumlief. Ihr Mann lächelte,
um seine Verlegenheit zu überspielen. War bestimmt nicht
leicht, mit einer Verrückten zu reisen.
»Vielleicht können Sie mir auch etwas erklären«, sagte Rebus. »Warum heißt eine Wet Bar eigentlich ›Wet Bar‹? Wieso
›feucht‹?«
»Vielleicht weil das Bier vom Fass ist«, schlug der Mann
widerwillig vor, »und nicht bloß aus der Flasche.«
Die Frau hatte ihre lacklederne Handtasche auf die Theke
gestellt; jetzt öffnete sie sie und holte eine Puderdose heraus,
um ihr Make-up zu überprüfen. »Sie sind nicht zufällig der
geheimnisvolle Unbekannte?«
Rebus stellte sein Glas hin. »Wie bitte?«
»Ellie!«, warnte ihr Mann.
»Clyde«, sagte sie und steckte ihre Puderdose wieder weg,
»ist nämlich ausgerichtet worden, jemand möchte sich mit
ihm in der Bar treffen, und außer Ihnen ist sonst niemand
da. Einen Namen hat der Betreffende nicht genannt.« »Ein Missverständnis, das ist alles«, erklärte Clyde. »Die
haben sich bestimmt in der Zimmernummer geirrt.« Aber
er warf Rebus trotzdem einen Blick zu. Rebus quittierte ihn
mit einem Nicken.
»Geheimnisvoll, keine Frage.«
Der neue Drink wurde Rebus serviert. Und der Barkeeper entschied, er verdiene auch ein weiteres Schälchen
Erdnüsse.
» Sláinte «, sagte Rebus.
» Sláinte «, erwiderten Mann und Frau.
»Habe ich mich verspätet?«, fragte Patience Aitken und ließ die Hände über Rebus’ Rückgrat gleiten. Sie kletterte auf den Barhocker, der Rebus von den Touristen trennte. Aus irgendeinem Grund nahm der Mann jetzt seine Mütze ab, unter der eine beneidenswerte Haarmähne zum Vor-
schein kam, die er glatt aus der Stirn zurückgekämmt trug. »Patience«, bemerkte Rebus, »darf ich vorstellen? Das
ist …«
»Clyde Moncur«, sagte der Mann, der sich
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