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Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Titel: Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Bieling
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ich kaum fassen, und es entfachte in mir ein besonderes Engagement. Übermäßig freundlich trat ich den Herrschaften der mir zugewiesenen Plätze entgegen. »Darf ich Ihnen vielleicht vorab einige Getränke empfehlen, oder soll ich Ihnen unsere Karte vorlesen?«
    Ein älterer Herr mit ergrautem Haar lächelte mich an. »Tun Sie das auch für Ihre anderen Gäste?«
    Upps! Ich war direkt mit meinem ersten Satz in eine Sackgasse geraten. »Auf jeden Fall!«, log ich, obwohl ich Lügen absolut verabscheue. Dennoch empfand ich diese als nicht sonderlich schlimm.
    Er nickte und schob mir die aufgeschlagene Getränkekarte zu. Ich begann mit den Kaffeespezialitäten und arbeitete mich bis zu den alkoholischen Cocktails durch. Mein Blick wanderte in die mich anstarrenden Gesichter, in denen sich keinerlei Regung zeigte. »Und?«, fragte ich vorsichtig, in der Hoffnung auf allerhand Bestellungen und eine Menge Trinkgeld.
    »Nicht gerade Hochdeutsch, aber flüssig und verständlich gelesen. Eine mittelmäßige Zwei, würde ich sagen«, kommentierte der freundliche Herr, der sich kurz darauf als Professor der Germanistik outete. Eine peinlichere Situation konnte es wahrlich nicht geben. Was hatte sich Claudia bloß dabei gedacht, mich so übel hinters Licht zu führen? Eine gesunde Art des Konkurrenzkampfes sah anders aus. Ich blickte in ihre Richtung, konnte aber keinerlei Schadenfreude in ihrer Mimik erkennen. Diszipliniert wie ein Hochleistungssportler lief sie zügig ihre Bestellungen ab, ohne sich auf unnötige Gespräche mit den Gästen einzulassen. Braves Mädchen! Und so link!
    Nachdem sich meine Gäste auf zwei Flaschen Vigneto Bellavista geeinigt hatten, diskutierten sie lautstark über die Auswahl der dazu passenden Hauptspeise. Die einen wollten Lamm, die anderen Straußenlendchen, und jeder beharrte auf seiner Wahl. Kein Problem, beteuerte ich und notierte alles. Wer denkt dabei schon an einen überforderten Koch? Ich doch nicht! Jedenfalls nicht, bis ich Minuten später in die rot unterlaufenen Augen des dicken Matrosenkochs sah, der hektisch durch die Bordküche stolperte.
    »Nein, sie konnten sich nicht auf eines der Menüs einigen. Die gesamte Speisenkarte mussten sie rauf und runter bestellen«, stammelte er kopfschüttelnd vor sich hin, während er die schon fertigen Gerichte in die Ausgabe schob.
    »À la carte eben!«, rechtfertigte ich meine Bestellungen.
    Er warf mir einen bösen Blick zu, während er den auf dem Teller platzierten Fisch mit Kräutersoße überzog. »So was gab es früher beim Seniorchef nicht!«
    »Keine Speisen?«, hinterfragte ich vorsichtig, um kein weiteres Mal anzuecken.
    »Doch schon. Aber nur kleine Mahlzeiten wie Geflügelragout mit getoastetem Weißbrot oder Tatar auf frischem Gemüsebett.«
    »Wow! Klingt superlecker.«
    Ein winziges Lächeln huschte über sein aufgedunsenes Gesicht. »Sie sollten mal irgendwann meine Nachspeisen probieren.«
    »Gerne«, erwiderte ich und versuchte mit vier Tellern meinen ganz persönlichen Rekord zu brechen. Langsam jonglierte ich die heißen Gerichte, die sich allmählich in meinen linken Unterarm brannten, an den Trauergästen entlang zu meinem Teil der Gesellschaft.
    »Ich kriejen dä Struß«, rief die Schwester der Verstorbenen und hielt mir ihre Hände entgegen.
    »Moment«, wehrte ich sie ab. »Zuerst hätte ich hier das Kaninchen im Teigmantel.«
    »Hubert! Häst du dat Karnickel bestellt?«, rief sie lautstark über den Tisch.
    »Jo!«, tönte es langatmig zurück.
    »Erna, das heißt Strauß, meine Liebe«, verbesserte der Germanistikprofessor seine Verwandte. Diese winkte ab. »Hör mich up mit dem Driss«, nuschelte sie und machte sich nach einem fix gemurmelten Tischgebet über den Steppenvogel her.
    Als ich endlich alle Teller zugeordnet hatte, erklang hinter mir erneut die Klingel der Serviceausgabe. »Sechzehn, siebzehn und einundzwanzig«, rief der Koch mir zu. Ich strich über meine Verbrennungen am Arm und eilte Richtung Bordküche. Brömme stand hinter dem Tresen und zensierte jeden meiner Schritte. Was schreibt er nur in dieses Heft? Das herauszufinden war jedoch keine Zeit. Der Koch hatte mich im Visier. »Schneller, schneller«, diktierte er. »Das Zeug wird kalt.«
    Das Zeug? Wenn er damit die Lendchen auf Brokkoli meinte, entsprach das eher einer Vorspeise, die mich an verlorene Eier erinnerte. Wahrscheinlich hieß das Gericht: Such die Lendchen oder so. Ideal für Richard und seinen Schlankheitswahn. Vorbildlich

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