Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
Paradiesisch lecker und ein echter Gaumengenuss.
Der Koch blickte mich an. »Die Nachspeise fürs heutige Vier-Gänge-Menü und eigens kreiert für den Hecht auf Artischocken.«
Ich fuhr mit meinem Finger über den Boden der Dessertschale und schleckte ihn ab. »Ich sag dir, diese Creme ist ein brillanter Übergang vom Hecht zum Abschluss-Cocktail. Es gibt doch Cocktail, oder?«
Seine Augen strahlten. »Klar gibt es einen abschließenden Cocktail. Antonios Abschluss-Krabben-Cocktail, aus Minz-Eis, pürierten Scampi und Tequila Sunrise. Und der Strohhalm, und nun halt dich fest, ist quasi ein Krabbenfuß.« Er drückte mir einen der sonderbaren Saughalme in die Hand. »Wie findest du das?«
Ich nickte und überlegte, ob Haie überhaupt Heringe fressen. Vielleicht waren die für diese Monster nur eine Art Snack, ein Happen für zwischendurch. Und die Hauptspeise waren unschuldige Urlauber, die ahnungslos im Wasser umherplanschten. Wer wusste denn schon wirklich, wie viele Vermisste sich gerade in den Mägen dieser schwimmenden Bestien zersetzten?
Der Koch stieß mich an und riss mich aus den blutigen Hai-Gedanken. »Nun sag doch mal was!«
»Wozu?«
»Na, zu den Krabbenfußhalmen.«
Ich beäugte die Plastiksaughilfe und hievte meinen Daumen anerkennend noch oben. »Super Idee!«
Dann stürmte Brömme herein und überreichte mir eineKochuniform mit den Worten: »Zwar etwas größer als notwendig, aber für die Tage wird’s schon gehen.« Er drehte ab und eilte ebenso schnell wieder hinaus.
Was für Tage? Von was sprach Brömme da eigentlich? Der glaubte doch nicht ernsthaft, ich würde den Koch ersetzen? Immerhin hatte ich um ein freies Wochenende gebeten, weil ich nach Berlin wollte. Und nun das! Und überhaupt, was bedeutete »für die Tage« übersetzt? Ich war wütend und schlurfte ziemlich angesäuert zur Umkleide.
Drei Bier, drei Schnaps, Antonio kam sich gewiss wie ein Kneipenwirt vor. Und auch die Schwebeteilchen im guten Hefeweizen hatten keine Chance, sich abzusetzen. Ruhe in Frieden, das galt hier nur für den Verstorbenen. Aber der versoffene Rest der trauernden Familie war auch nicht weit entfernt.
Der Koch stand angelehnt am Backofen und wartete darauf, dass der nächste Gang hinauskam. Ich sortierte derweil Gewürze: die häufig gebrauchten nach vorne und die exotischen nach hinten ins Regal. Schließlich war die Küche mein vorläufiges Domizil. Als ich damit fertig war, schlich ich zur Pendeltür und schaute, wie weit die grölende Meute, die von einem Akademikerstatus weit entfernt schien, mit der Vorsuppe war. Schließlich war der Hecht schon kurz vorm Zerfallen, und die Artischocken waren fast abgelaufen, wenn das Essen nicht bald auf die Tische käme, soweit sie überhaupt ein Verfallsdatum hatten.
»Und?«, fragte der Koch gelangweilt. Dabei stocherte er mit einem Messer zwischen seiner Hand und dem Gips herum.
»Das wird wohl noch dauern«, murrte ich zurück.
»Ich schalte den Hecht jetzt runter«, entschied er und drehte den Ofen ab. »Bin schließlich keine Kantine.«
Ich zuckte mit den Schultern. Meinetwegen! Küchendienst war einfach nicht mein Ding. Zu gerne hätte ich mit Claudia oder Ortrud getauscht und den Schluckspechten ordentlich nachserviert.
Wenn das einzig Schöne an einem Arbeitstag der Feierabend ist, sollte man über einen Jobwechsel nachdenken. Ich öffnete den Rouladenstrick, der durch die Schlaufen meiner übergroßen Kochhose gezogen war, und ließ sie zu Boden plumpsen. Ein kariertes, textiles Verhütungsmittel, dachte ich, als ich sie mir so betrachtete. Vielleicht hätte ich bei meiner Bewerbung erwähnen sollen, dass ich auf Karos allergisch reagiere, weil die mir überhaupt nicht gut zu Gesicht stehen. Kurz gesagt: Ich hasse alles Karierte! Sogar das Schachbrett, das Richard unter seinem Bett lagerte und nur hin und wieder zum Entstauben hervorkramte. Einmal klebte ein Kondom darauf, direkt auf dem Feld der Königin. Und Richard hielt das für einen schicksalhaften Hinweis. Es dauerte genau acht Monate, bis er erkannte, dass es lediglich ein Indiz für Joes Entsorgungsmethoden darstellte. Ich drehte die Brause auf und stieg ins Duschbecken. Der Wasserdampf nebelte den kleinen Waschraum im Nu ein, so dass er locker für Drehaufnahmen bei Nebel des Grauens herhalten konnte. Nebel des Grauens! Das hätte ich vielleicht mal lieber nicht gedacht, weil ich mit einem Mal das ungute Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Zur Erklärung: Dieser Film hatte mich
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