Rasant und Unwiderstehlich
Abend nur so in das Lokal im Fünfzigerjahre-Stil einfallen, um nach Zapfenstreich gegrillten Käse und verbrutzelte Fritten zu schlemmen. Callie beobachtete, wie die rotgesichtige Kellnerin die Glasscherben auffegte, die auf dem schachbrettartig schwarz-weiß gemusterten Boden wie Diamanten funkelten.
»Ja, ganz okay«, antwortete Chloe zurückhaltend. Sie stand wahrscheinlich noch ein wenig unter Schock, dass Tinsley Carmichael sie zum Essen außerhalb des Campus eingeladen hatte. Tinsley hatte sie unter dem Vorwand, »sich besser kennenzulernen«, hergelockt, aber wie immer hatte Tinsley natürlich einen Hintergedanken. Sie wusste jetzt, woher ihr Chloe so bekannt vorkam: von Dekan Marymounts Familienfoto. Das kleine Dummerchen war seine Nichte , und Tinsley hatte mit ihrem schlauen Köpfchen schnell begriffen, dass sie ihrem Onkel Informationen zugespielt hatte. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Marymounts »Verdächtigen«-Liste nichts anderes als eine Auflistung der Leute, die während des Wochenendes unfreundlich zu Chloe gewesen waren. Nicht dass sie alle total unschuldig waren, aber dennoch. Das machte sie doch noch nicht zu Brandstiftern .
»Du musst natürlich bedenken, dass du die Schule zu einem ganz außergewöhnlichen Zeitpunkt kennenlernst«, bemerkte Tinsley und spießte ein Salatblatt ihres Cesar-Salats auf. »Wir sind alle total gestresst wegen des Feuers.« Tinsley legte die Gabel weg, als habe ihr der viele Stress den Appetit verdorben, und lehnte sich in die roten Vinylpolster der Nische zurück. Ihre perfekt gezupften Brauen waren sorgenvoll zusammengezogen.
Callie nahm einen großen Bissen von ihrem Burger, denn sie war nicht sicher, ob sie ernst bleiben konnte, während sie Tinsleys Scharade zusah. Außerdem hatte sie ständig Hunger, seit sie wieder mit Easy zusammen war – wahrscheinlich weil sie andauernd so viele Kalorien verbrannten.
Chloe nagte an ihrem überbackenen Thunfischtoast. »Es ist total verrückt«, stimmte sie Tinsley zu. »Aber die Sache wird ja bald erledigt sein, oder?« Sie sah die beiden älteren Mädchen fragend an. Callie erwiderte den Blick der Anwärterin misstrauisch und fragte sich, wie viel von ihrem unschuldigen Getue gespielt war. Mit ihrem schulterlangen blassblonden Haar und der hellen Haut sah sie in ihrem blassgelben Pullover mit Zopfmuster wie eine übergroße halbgare Fritte aus.
»Hoffen wir es mal«, mischte sie sich ein und legte ihren Burger auf den Teller. Sie zog eine Serviette aus dem Chromgestell, wischte sich den Mund und widerstand dem Drang, die Kellnerin um ein Lätzchen zu bitten – sich die neue lavendelfarbene Rüschenbluse von Joie vollzukleckern, wäre wirklich das Letzte. » FALLS sie die oder den Richtigen finden. Aber soweit ich das sehe, tun sie das eben nicht.«
»Ehrlich?« Chloe sah zu Callie auf. Sie rollte die Ärmel ihres Pullovers hoch. »Warum sagst du das?«
Tinsley zog den langen silbernen Löffel aus ihrem schaumigen Milchshake, leckte ihn ab und deutete damit auf einen Punkt genau zwischen Chloes Augen. »Weil die tatsächlich Schuldige genauso rehäugig und unschuldig aussieht wie du«, erwiderte sie trocken. Sie legte den Löffel auf die Resopalfläche. »Du hast sie vielleicht schon kennengelernt. Ihr Name ist Jenny Humphrey.«
Callie ließ den Blick durch das Restaurant schweifen. Hoffentlich war keiner aus Waverly in Hörweite. Aber entweder hatte über Mittag niemand den Campus verlassen wollen, oder das Nocturne war sogar noch neuer, als sie angenommen hatte, denn sie erkannte kein einziges Gesicht. Außerdem dröhnte ein schmalziger Fünfzigerjahre-Schlager nach dem anderen aus der Jukebox – im Moment »My Boyfriend’s Back« -, daher bezweifelte sie sogar, dass man sie in der Nische nebenan hören konnte.
Chloes babyblaue Augen wurden groß. »Jenny? Die hab ich kennengelernt. Die geht doch mit Julian, richtig? Der ist vielleicht süß.«
Tinsley zuckte zusammen. Schlimm genug, dass Heath über sie und Julian Bescheid wusste und ihr hämische SMS schickte. Jetzt musste sie sich auch noch anhören, wie diese kleine Anwärterin über den unglaublich heißen Neuntklässler und seine Riesen-Titten-Freundin laberte. Wenn sie die Namen Jenny und Julian noch einmal im gleichen Atemzug hörte, würde sie ihr Milchshake quer über den Tisch kippen! Und wenn sie die zwei noch ein Mal zusammen sehen sollte, würde sie vielleicht wieder etwas anzünden – und diesmal mit Absicht. Das Treffen am Mittwoch und
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