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Rasheed, Leila

Rasheed, Leila

Titel: Rasheed, Leila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rueckkehr nach Somerton Court
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daraus zu machen.«
    »Ich weiß«, seufzte Georgiana. »Es ist nur so seltsam, unter diesen Umständen nach Hause zurückzukehren. Ich hätte nie gedacht, dass Papa wieder heiratet. Noch dazu eine Frau mit drei eigenen Kindern. Wir werden Papa nie wieder für uns haben.«
    »Vielleicht sind sie entzückend.«
    »Oder furchtbar!« Dann fuhr sie fort: »Aber du brauchst dir darüber ja keine Sorgen zu machen. Früher oder später wird dir einer deiner vielen Verehrer einen Antrag machen, und dann bist du verheiratet und ich bleibe allein zurück, bei den Templetons!« Georgiana lachte, dann musste sie husten und presste sich ein Taschentuch vor den Mund.
    Ada konnte sich kein Lächeln abringen.
    Georgiana sah ihre Schwester forschend an, doch die wich ihrem Blick aus. Ihre Gedanken waren wieder bei Ravi, und sie schämte sich dafür. Schweigend liefen sie über den Rasen, ihre Schuhe hinterließen Abdrücke in dem Silberschleier, den der Tau über das Gras gebreitet hatte.
    »Und es ist schrecklich, wie Papa in Indien sein Amt niederlegen musste«, sagte Georgiana leise. »Ach, Ada – meinst du, er hat wirklich etwas Unrechtes getan? Ich möchte das nicht glauben, aber …«
    Ada schüttelte den Kopf. Sie war fast erleichtert, dass sie sich einen Moment mit etwas anderem als Ravi beschäftigen musste. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Vorwürfe gegen ihn gerechtfertigt sind. Das will ich einfach nicht glauben; er würde sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Das wäre einfach viel zu beschämend. Es muss mehr dahinterstecken, als es scheint.«
    »Er hat nichts zu dir gesagt?«
    »Nein, nichts. Aber ich kann nur das Beste von ihm denken.«
    »Natürlich.« Georgiana seufzte. »Ich wünsche mir wirklich, ein liebenswerter Mann würde sich in mich verlieben, oder in dich, und wir könnten eine richtige Hochzeit feiern.« Sie lachte kurz auf, aber ohne Fröhlichkeit.
    »Du klingst müde.« Ada sah sie scharf an. »Du bist viel zu weit gelaufen, bei dieser feuchten Kälte – daran bist du nicht gewöhnt.«
    »Mir geht es bestens!«, protestierte Georgiana, obwohl sie sehr abgespannt aussah. »Ich kann noch gut bis zum Wald weiterlaufen!«
    »Kommt nicht in Frage. Wenn du etwas Romantisches erleben willst, musst du bei Kräften bleiben und darfst nicht am Krückstock daherkommen. Zurück ins Haus, ich bestehe darauf!«
    Als sie umkehrten, sah Ada zu Somerton Court auf, dem Steinkoloss, der massiv wie eine Pyramide vor ihnen in die Höhe ragte. Erst jetzt merkte sie, dass sie die ganze Zeit im Schatten des Hauses gelaufen waren. Dunkle Fenster erwiderten ihren Blick wie Augen voller Geheimnisse, und Ada glaubte in einem von ihnen eine Gestalt zu sehen, in der schwarz-weißen Uniform eines Hausmädchens. Aber im nächsten Augenblick war sie verschwunden.
    »Ja, zurück ins Haus«, sagte Georgiana mit einem Seufzen. »Wir müssen uns an unser neues Zuhause gewöhnen – und an unsere neue Familie.«

5
    Endlich war das Dinner vorüber, und die Hausmädchen gingen eines nach dem anderen zu Bett, oben in den Dachkammern. Die Lakaien schnarchten in der Eingangshalle. Nur Mrs Cliffe war noch wach.
    Sie ging von einem dunklen Raum zum anderen, die Gaslampe in der Hand. An deren Lichtschein und dem leisen Klirren des Schlüsselbunds am Gürtel ließ sich Mrs Cliffes Weg durch das Haus verfolgen. Bei jedem Erdgeschossfenster blieb sie stehen und rüttelte daran. Zufrieden, dass alle fest verschlossen waren, setzte sie ihren Kontrollgang bis zur Haupttreppe fort.
    Trotz der spärlichen Beleuchtung ging sie sicheren Schritts. Sie hätte mit geschlossenen Augen sagen können, wo die Nebengebäude und die Stallungen lagen, hätte sagen können, auf welchem der vier Stockwerke und in welchem der zweihundert Räume sie sich befand. Mit verbundenen Augen im Speicher oder Keller ausgesetzt, hätte sie, ohne auch nur einmal zu zögern, zum Dienstbotendurchgang zurückgefunden; als Wegweiser hätten ihr die Kanten der Vertäfelung gedient, das Knarren eines Dielenbretts, der unterschiedliche Klang des Echos. Sie spürte Somerton Court um sich herum, selbst wenn sie nicht eigens darauf achtete, spürte ihren Platz im Haus, der so vertraut und sicher war wie das Mieder, das sie jeden Tag anlegte, seit sie vierzehn war. Somerton war ihr Leben, in guten wie in schlechten Tagen.
    Auf dem Rückweg zu ihrer Stube blieb sie stehen. Schwache Klänge drangen zu ihr die Treppe herunter. Musik – die stockenden Töne eines

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