Rasheed, Leila
Einfluss entziehen könnten«, sagte er. »Haben Sie noch weiter über Oxford nachgedacht?«
»Ich denke dauernd daran. Es kommt Ihnen vielleicht merkwürdig vor, aber Bildung bedeutet für mich Unabhängigkeit.«
»Das kommt mir überhaupt nicht merkwürdig vor. Ich empfinde genauso. Und was ist wichtiger im Leben als Unabhängigkeit? Sie müssen nach Oxford, Ada. Versprechen Sie mir, dass Sie die Aufnahmeprüfung machen werden.« Er blieb stehen, griff wieder nach ihren Händen und sah ihr ins Gesicht. »Warum zögern Sie? Ich hoffe nur, Sie zweifeln nicht daran, dass Sie es schaffen werden. Sie sind so intelligent …«
»Mr Varley hat mir einen Antrag gemacht«, sagte sie.
Er rang hörbar nach Luft und ging ihr ein paar Schritte voraus. »Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Sie wissen genau, dass es das doch ist – gewissermaßen«, sagte Ada und eilte ihm nach.
»Gewissermaßen?« Er blieb abrupt stehen und sah sie an. »Ada, versprechen Sie mir, dass Sie niemanden heiraten werden, der Ihnen verbietet, Ihrem Herzen zu folgen.«
Sie dachte an ihren Vater. An ihre Schwester. An Somerton Court, an all die Generationen von Averleys, die man ihr die ganze Kindheit hindurch als Beispiel vorgehalten hatte, weil sie ihre Pflicht erfüllt hatten.
»So einfach ist das nicht«, sagte sie. Ärger stieg in ihr auf. »Für Sie ist es einfach. Sie sind ein Mann. Sie wollen zur Universität und gehen einfach, niemand versperrt Ihnen den Weg.«
»Ich gehe einfach?«, wiederholte er mit rauer Stimme. »Glauben Sie mir, einfach ist es nicht gewesen. Ich bin kein Maharadscha, sondern der Sohn eines Beamten – Leute Ihresgleichen würden das als Mittelschicht bezeichnen.« Er sprach mit bitterem Hohn. »Mein Vater hat jahrelang gespart, damit er mich zum Studieren hierherschicken kann. Dass ein Inder aus meiner Schicht nach Oxford geht, ist etwas Unerhörtes und wäre ohne Mr Varleys Unterstützung unmöglich gewesen. Sie haben mich einmal gefragt, ob ich es lächerlich finde, dass Sie nach Bildung streben. Das finde ich keineswegs, aber es gibt eine Menge Leute, die es lächerlich finden, dass ich nach Bildung strebe.
»Dann sind sie dumm«, sagte Ada.
Er nahm ihre Hand und fuhr jetzt etwas sanfter fort.
»Ich wollte Sie nicht aufregen. Meine Geschichte ist unwichtig. Aber um Sie – lassen Sie es mich sagen – um Sie mache ich mir Gedanken. Sie müssen jemanden heiraten, der Ihnen erlaubt, Ihre Träume zu verwirklichen.«
Sie entzog ihm ihre Hand.
»Warum macht sich jeder Gedanken darüber, wen ich heirate?«, fragte sie mit blitzenden Augen.
»Vielleicht, weil Sie diesen Menschen wichtig sind.«
»Bin ich Ihnen denn wichtig?«, fragte sie. Die Worte klangen in ihren Ohren, als hätte nicht sie, sondern jemand anderer sie ausgesprochen.
Anstelle einer Antwort nahm er wieder ihre Hände und zog sie an sich. Sie spürte seinen Atem warm auf ihrem Gesicht, und ihr wurde schwindlig, als atme sie eine Droge ein. Seine Lippen berührten die ihren so zart wie eine Schneeflocke. Ihr stockte der Atem.
»Ada?«, drang eine ferne Stimme zu ihr.
Ada zuckte zurück, ihre Augen weiteten sich vor Angst.
»Ihre Schwester«, flüsterte Ravi.
»O Gott! Sie darf mich hier nicht finden.« Ada huschte auf Zehenspitzen durch das Labyrinth zurück.
Als sie die letzte Biegung erreichte, packte Ravi sie an der Hand, zog sie an sich und küsste sie lange und leidenschaftlich. Bevor er sie losließ, presste er sie noch einmal an sich und flüsterte: »Es ist mir egal, dass es unmöglich ist.«
»Aber es bleibt unmöglich!«, flüsterte sie, entzog sich ihm und eilte hinaus in den Schatten.
»Ada! Bist du da?« Georgiana stand auf der Terrasse und hielt Ausschau in die andere Richtung.
»Hier bin ich«, rief sie, um eine ruhige Stimme ringend. »Ich bin nur kurz an die frische Luft gegangen.«
»Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Ist alles in Ordnung?«
»In allerbester Ordnung.« Sie atmete schnell und hatte furchtbar Angst, dass Georgiana das Verlangen spürte, das noch in ihr war. Sie sagte, so ruhig sie konnte: »Nach der vielen frischen Luft habe ich wieder einen klaren Kopf. Aber du wirst dich erkälten, du weißt doch, wie anfällig deine Bronchien sind. Gehen wir rein.«
»Es ist furchtbar lästig, andauernd krank zu sein«, seufzte Georgiana.
Bei der Rückkehr ins Haus sah Ada, wie Charlotte durch das hell erleuchtete Salonfenster nach draußen spähte. Sie erschauderte.
12
Als sich die Gäste am
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