Rasheed, Leila
hängen blieb.
»Sir, ich … Ihre Kleider sind noch am Ufer«, stammelte er.
Und wieder blitzte ihn Sebastian mit seinem entwaffnenden Grinsen an.
»So was Dummes aber auch.«
14
Ada hielt sich die Ohren zu, als eine neue Salve von Schüssen losbrach. Hunde bellten, Vögel stürzten vom Himmel, als hätte ein eifersüchtiger Gott sie in Steine verwandelt.
»Ich wünschte, wir wären nicht mitgekommen«, sagte sie leise zu Georgiana.
»Also, ich finde es spannend«, erwiderte Georgiana. »Hast du gesehen, wie viele Michael schon geschossen hat?«
Ada verzog das Gesicht. Sie begriff nicht, was Georgiana an dem jungen Mann fand. Er war launisch und knurrig wie ein verwöhntes junges Hündchen. Aber vielleicht bin ich unfair, dachte sie. Der Geruch von Rauch und Blut und nassem Hund verschlug ihr den Atem. Hinter ihr stapelten Diener die schlaffen, gefiederten kleinen Körper zu einer Pyramide.
»Wie sollen wir das denn alles essen? Da brauchen wir doch ewig.«
»Die sind gar nicht für uns, Ada. Die werden im Dorf verteilt. Das hat Papa gesagt … Oh! Bravo, gut gemacht!«, rief sie, als zwei weitere Enten rasch nacheinander vom Himmel fielen.
Da kehrte Ada den Schützen den Rücken zu und lief los.
»Wo willst du hin?«, rief ihr Georgiana nach.
»Zurück ins Haus.«
Cooper verbeugte sich leicht. »Mylady, darf ich vorschlagen, dass einer der Lakaien Sie begleitet?«
»Nein danke, Cooper – ich möchte allein sein.« Ada stolperte fast, so hastig verließ sie den Schauplatz. Auf demselben Weg, auf dem sie gekommen waren, lief sie durch den Wald zurück. Erst als die Gewehrschüsse leiser wurden und der Jagdgeruch nachließ, konnte sie sich entspannen.
Aber jetzt so allein im Wald gab es nichts mehr, was sie von den Gedanken ablenkte, die sie seit Tagen zu unterdrücken versuchte.
Sie wusste, dass sie ein enormes Risiko eingegangen war. Würde bekannt, dass Ravi ihr geschrieben und sie ihm geantwortet hatte, wäre ihr Ruf ruiniert. Aber das Ganze war völlig unschuldig, redete sie sich ein. Sie hatte in ihrem Brief noch einmal klargestellt, dass es außer Freundschaft zwischen ihnen nichts geben könne – und spontan einen Artikel über das Leben in Indien beigelegt, den sie verfasst hatte und an den Spectator schicken wollte. Schließlich könnte niemand sie darin so kompetent beraten wie Ravi.
Aber jetzt wünschte sie sich fast, sie hätte ihm nicht zurückgeschrieben. Wenn er nun nicht antwortete? Wenn ihm ihr Artikel nicht gefiele? Wenn er Kritik übte oder, schlimmer noch, kein Interesse zeigte? Wenn sie sich Ravi beim Lesen ihres Texts vorstellte, wäre sie vor Scham am liebsten in den Boden versunken. Dabei fand sie, dass sie einen guten Bericht verfasst hatte – glaubte es zumindest. Eine Frau hatte so wenige Möglichkeiten, Geld zu verdienen; eine davon war der Journalismus. Und wenn sie als Journalistin erfolgreich wäre, hätte sie ein eigenes Einkommen. Dann hinge sie nicht so vollständig von ihrem Vater ab – und von ihrer Stiefmutter. Sie wäre frei. Sie redete sich ein, sie habe nur deshalb so schlecht geschlafen, weil sie sich unablässig fragte, ob sie wohl morgen eine Antwort von Ravi erhalten würde.
Da ging ein Schuss los, so laut, dass ihr fast das Trommelfell platzte, und fast gleichzeitig gellte ein Warnschrei. Ada riss instinktiv die Arme in die Höhe, um ihren Kopf zu schützen. Etwas Schwarzes stürzte dicht neben ihr herab und plumpste ihr vor die Füße; Blut spritzte hoch und besudelte ihr Tweedkostüm.
Es krachte im Unterholz, und ein junger Mann kam auf sie zugerannt, totenblass im Gesicht.
»Um Gottes willen! Sind Sie verletzt? Eine Handbreit tiefer, und ich hätte vielleicht …«
»Verletzt? Nein! Ich … ich bin selbst schuld. Wie dumm von mir!«, stieß Ada hervor.
»Wieso, zum Teufel, spazieren Sie hier vor den Gewehrläufen herum?« Die Farbe war in das Gesicht des Mannes zurückgekehrt. Jetzt wurde er zornig, seine blauen Augen sprühten Funken.
»Ich wollte zum Haus zurücklaufen, aber ich … ich war wohl zerstreut … und muss falsch abgebogen sein.« Die Welt ringsum verblasste plötzlich, alles wurde schwarz-weiß und begann sich zu drehen. Ada wurde so schwindlig, dass ihr Punkte vor den Augen tanzten.
»Sie haben doch etwas abbekommen. Stützen Sie sich auf mich.« Die Stimme des Mannes kam aus weiter Ferne, als wäre er unter Wasser; sie hörte ihn sagen: »Marston, blasen Sie die Jagd ab.«
»Bitte nicht!« Mit Mühe hielt sie sich aufrecht.
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