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Rasheed, Leila

Rasheed, Leila

Titel: Rasheed, Leila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rueckkehr nach Somerton Court
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vor ihren Augen auf und ab und wollten erst nach einer ganzen Weile stillstehen:
Meine liebe Ada,
ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich war, als ich Ihre Antwort in Händen hielt. Offen gestanden musste ich seit unserem letzten Treffen unaufhörlich an Sie denken. Es gab noch so vieles, was ich Ihnen hätte sagen wollen, so vieles, was ich gern von Ihnen gehört hätte. Ich verstehe, warum Sie betonen, dass uns nichts weiter als Freundschaft verbinden kann, und Sie können sich darauf verlassen, dass ich Ihr Vertrauen nicht enttäuschen werde, aber …
    Hier waren ein paar Worte so dick durchgestrichen, dass Ada sie nicht entziffern konnte.
… ich hoffe, dass Freundschaft genügen wird.
Stattdessen werde ich von Oxford erzählen, wie Sie mich gebeten haben. Oxford ist eine schöne, heitere Stadt, die etwas Zeitloses, Ewiges hat. Es ist äußerst anregend, von so viel Vergangenheit und den klügsten Köpfen der Gegenwart umgeben zu sein. Ich wünschte nur, dass alle hier das zu schätzen wüssten. Vielleicht messe ich dem zu viel Wert bei. Vermutlich gehört es für manche der Studenten aus der Aristokratie zum guten Ton, auf die Universität herabzusehen und nur so viel zu tun, dass sie knapp durchkommen. Ich glaube nicht, dass sie ihr Privileg, hier studieren zu dürfen, zu würdigen wissen – s o etwas gilt in ihren Augen wohl als typisch für die Bourgeoisie. Und für Inder.
Die Frauen dagegen, die hier studieren, haben mich mit ihrem Engagement sehr beeindruckt. Ich bin sicher, Sie täten gut daran, hierherzukommen, und Sie würden die Prüfungen ganz bestimmt bestehen. Ihr Artikel hat mich davon überzeugt, dass Sie die nötigen Fähigkeiten und die Intelligenz besitzen – nicht, dass ich je daran gezweifelt hätte. Er ist ausgezeichnet geschrieben.
Aber ich frage mich – und hier hoffe ich, Sie nicht zu verletzen –, ob Sie das wahre Indien kennen? Das Bild, das Sie malen, ist wunderschön, aber ich meine, dass es noch viel mehr zu sagen gäbe, vor allem über die Lebensumstände der Armen; auch die britische Herrschaft über mein Land wirft viele Fragen auf. Und ich finde, eine intelligente Frau sollte diese Fragen stellen.
Verzeihen Sie, wenn ich damit die Grenzen unserer Freundschaft überschreite. Aber Sie haben mich um eine ehrliche Meinung gebeten, und ich respektiere Sie zu sehr, um sie Ihnen vorzuenthalten.
    Ada wurde rot. Einen Augenblick war ihr sehr danach, den Brief in Fetzen zu reißen. Wie konnte er ihr unterstellen, dass sie Indien nicht richtig kannte? Schließlich hatte sie jahrelang dort gelebt und das Land geliebt! Aber nach kurzer Überlegung erkannte Ada, dass er durchaus das Recht hatte, ihren Artikel zu hinterfragen. Sie hatte ihn um seine Meinung gebeten und sie bekommen. Sie schluckte ihren verletzten Stolz hinunter und las weiter.
Was nun folgt, wollte ich erst nicht ansprechen, aber ich kann dazu nicht schweigen. Ich bin froh, dass Sie Douglas Varley abgewiesen haben, aber bitte denken Sie auch bei jedem anderen Antrag gründlich nach. Ich kann es nicht ertragen, Sie auf dem Altar der Gesellschaft geopfert zu sehen. Dass wir nicht zusammen sein können, verstehe ich – versuche es zumindest, mit dem Wenigen an Vernunft, das mir noch bleibt, wenn ich an Sie denke. Aber wenn ich schon nicht mit Ihnen leben kann, möchte ich wenigstens die Gewissheit haben, dass Sie mit einem Mann leben, der Ihnen erlaubt, Ihre Träume zu verwirklichen. Wenn Sie sich nur überzeugen ließen, dass Sie und ich … Aber ich darf nicht weiterschreiben, sonst gehen meine Gefühle mit mir durch.

Mit aller Gewissheit immer der Ihre
Ravi
    Ada atmete tief ein. Als Allererstes empfand sie eine triumphierende Freude. Sie hatte sich nicht getäuscht. Seine Gefühle für sie waren nicht erloschen. Was immer zwischen ihnen war, es war nicht vorbei.
    Aber es musste vorbei sein. Sie presste die Lippen zusammen, faltete den Brief winzig klein zusammen und schob ihn in ihren Ärmel.

15
    Vor Lady Adas Tür sank Rose der Mut. Ich hätte nie damit anfangen sollen, dachte sie. Sie wird böse werden, dann verliere ich meine Stelle, und was mache ich dann? Aber es gab kein Zurück. Sie wusste, dass das, was sie hier tat, etwas Unehrenhaftes war. Dieses Wissen machte sich in ihrem Bewusstsein breit wie eine fette Kröte und würde beharrlich dort bleiben, bis sie etwas dagegen unternahm. Rose holte tief Luft und klopfte.
    »Herein!«, rief eine erschrockene Stimme. Rose öffnete die Tür. Lady Ada saß am Fenster

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