Rasheed, Leila
du ein Geheimnis für dich behalten? Und erzählst es nicht einmal Michael?«
Georgiana nickte mit großen Augen.
»Nicht ich übe Klavier. Sondern Rose.«
»Rose? … Rose, deine Zofe?«
»Ja. Wir haben eine … Vereinbarung.« Sie hatte lange darüber nachgegrübelt, wie sie Georgiana einweihen könnte. »Du weißt doch, wie sehr ich nach Oxford gehen möchte.«
»Jaaa …«
»Und Rose möchte genauso gern Klavier spielen. Sie hatte nie Unterricht, nur einen Fernlehrgang, und hat natürlich keine Möglichkeit zum Üben.« Rasch erklärte sie ihre Vereinbarung, ohne ein Wort über Ravi zu verlieren. »Sie denkt sich ihre eigenen Melodien aus, und diese da hat sie aufgeschrieben«, endete sie. »Ich wollte wissen, wie du sie findest, weil du viel musikalischer bist als ich.«
»Ich finde sie wunderbar!« Georgiana sprang auf. »Ada, ist das aufregend, wir haben ein echtes Genie im Dienstbotentrakt!« Sie schritt durchs Zimmer und summte die Melodie noch einmal leise vor sich hin. »Darf ich das spielen? Hätte sie etwas dagegen – was meinst du?«
»Ich habe gehofft, dass du fragen würdest«, antwortete Ada. »Ich glaube, Rose ist auf dem Klavier technisch noch nicht gut genug, um ihre eigenen Kompositionen zu spielen, aber wenn du das spielst, könnte sie hören, wie es klingt, und das wäre für sie sehr hilfreich.«
»Mach ich sofort.« Georgiana eilte zur Tür. Ada folgte ihr. Sie liefen die große Haupttreppe hinauf, vorbei an den Reynolds und Turners bis zum Musikzimmer. Georgiana setzte sich ans Klavier, legte die blassen, langen Finger auf die Tasten, sammelte sich kurz und begann zu spielen.
Rose war oben in Adas Zimmer und sah die Strümpfe nach Löchern durch. In ihrem Kopf tönte Musik, tausend Melodien. Es war, als wären sie ausgeschlüpft, sobald sie sich ans Klavier hatte setzen dürfen, und wären emporgeschwebt wie die Samenschirmchen einer Pusteblume. Während Rose stopfte und dabei leise sang, erinnerte sie sich an alte Melodiefetzen aus ihrer Kindheit. Musik erfüllte sie ganz und gar, es war, als könnte sie sie wirklich hören …
Da verstummte sie und sah starr vor sich hin, mit erschrockenen, großen Augen. Hatte sie Halluzinationen? Einen Moment lang wurde sie von Panik erfasst. Sie stand auf, ließ ein Paar Strümpfe achtlos zu Boden fallen und öffnete die Tür.
Von der Treppe wehten Töne zu ihr hoch wie eine liebe Freundin, die ihr entgegenlief. Töne, auf dem Klavier gespielt, ihre Musik, zum Leben erweckt.
»Oh …«, flüsterte Rose, und ein Lächeln breitete sich über ihr ganzes Gesicht aus. »Oh … vielen Dank!«
16
»Ada«, sagte Lord Westlake laut, damit sie ihn vom anderen Ende des Frühstückstischs hörte, »dein Klavierspiel hat sich enorm verbessert, seit du regelmäßig übst. Sebastian und ich sind neulich am Musikzimmer vorbeigelaufen und waren sehr beeindruckt.«
Ada errötete und brachte mit Müh und Not ein »Danke« heraus.
»Ja, wirklich«, bestätigte Sebastian; seine intelligenten grünen Augen ruhten auf ihr. »Du verdienst das Kompliment. Und was hast du da für eine hübsche kleine Melodie gespielt? Sehr seelenvoll.«
»Ach … ich hab vergessen, was es war. Ich glaube, ein Volkslied.« Sie sah schuldbewusst zu Georgiana hinüber.
»Jedenfalls sehr hübsch.« Sebastian wandte sich wieder seinem Toast zu. »Das möchte ich gern einmal im Ganzen vorgespielt bekommen.«
Zum Glück brauchte Ada darauf nicht zu antworten, denn Charlotte und Fiona kamen herein, Fiona in einem äußerst eleganten Tweedkostüm und Charlotte in einem sehr gewagten Tunikakleid in Pfauenblau und Terrakotta. Beide trugen lange Perlenketten, und Ada bewunderte wieder einmal neidlos ihr souveränes Stilgefühl, fragte sich aber auch, wie lange ihre Kleider so makellos aussehen würden, sollten sie sich zu einem Spaziergang entschließen.
»Entschuldige unsere Verspätung.« Fiona drückte ein Küsschen auf Lord Westlakes Stirn, bevor sie mit einiger Grandezza den Platz neben ihm einnahm. Der Lakai näherte sich mit einer Platte kaltem Braten, aber sie winkte ihn weg. »Für mich nur ein wenig Kaffee, vielen Dank.«
»Wir haben uns Tabletts aufs Zimmer bringen lassen«, sagte Charlotte. »Familie ist ja gut und schön, aber nicht auf nüchternen Magen.« Sie gähnte. »Und was habt ihr heute vor?« Da fiel ihr Georgianas Reitkleidung auf, und sie fügte hinzu: »Sag jetzt bitte nicht, dass man dich auf ein Pferd loslässt!«
»Doch, Michael nimmt mich auf einen
Weitere Kostenlose Bücher