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Rasheed, Leila

Rasheed, Leila

Titel: Rasheed, Leila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rueckkehr nach Somerton Court
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wartete, dass ihre Mutter hereinkam. Sobald sie aus der Ponykutsche gestiegen war, hatte sie gewusst, dass schon alle auf Somerton von ihrer Schande erfahren hatten. Sie erkannte es an James’ mitfühlendem Blick, der ihr folgte, als sie ins Haus ging, an Priyas erschrockener und mitleidiger Miene, am Schweigen der Köchin und an Marthas bösartigem Gekicher. Ganz bestimmt steckte Stella dahinter. Und gleich würde sie ihrer Mutter ins Gesicht sehen müssen, der einzigen Person, der entgegenzutreten sie sich wirklich fürchtete.
    Die Uhr tickte gleichmäßig dahin, wie Wasser, das auf einen Stein tropfte. Sie hatte das Geräusch früher kaum bemerkt, aber jetzt setzte es ihr zu. Sie wünschte, sie könnte es abstellen – da öffnete sich die Tür, und ihre Mutter trat herein.
    Sie sah erschöpft aus, hatte dunkle Ringe unter den Augen und im Gesicht jede Farbe verloren. Mutter und Tochter sahen einander stumm an. Dann wurde Rose von einem Schluchzer geschüttelt und warf sich ihrer Mutter in die Arme.
    Sie spürte, wie die starken Armen ihrer Mutter sie umschlangen und ihre rauen Hände ihr übers Haar streichelten. Rose schluchzte an ihrer Schulter. »Mama … Mama, es tut mir so leid.«
    »Ruhig, ganz ruhig.« Ihre Mutter führte sie zu einem Stuhl und bedeutete ihr, sich zu setzen. Sie selbst blieb vor ihr stehen. Rose konnte ihr nicht in die Augen sehen.
    »Rose, was ist bloß über dich gekommen?« Die Sorge in ihrer Stimme war schlimmer als jeder Zorn. »Wie konntest du so etwas tun? Hast du nicht an die Folgen gedacht?«
    Rose trocknete sich die Augen. Sie musste die Dinge richtigstellen. »Ich war dumm, aber ich habe nichts Schlechtes getan. Ich weiß, dass es verkehrt war, zu dem Konzert zu gehen. Ich weiß, dass ich mich über meinen Stand erhoben habe. Aber ich habe überhaupt nichts gemacht, damit Mr Templeton mich küsst. So etwas würde ich niemals tun.«
    Ihre Mutter sah sie lange an, dann zog sie einen Umschlag aus der Tasche. Rose musste ihn einen Moment lang ansehen, bis sie erkannte, was es war: Es war Ravis letzte Antwort an Lady Ada, adressiert an sie, Rose. Der Brief hatte sie nicht mehr erreicht; er musste in ihrer Abwesenheit auf Somerton Court angekommen sein. Rose wurde blass.
    »Ich sehe dir an, dass du etwas darüber weißt.« Die Stimme ihrer Mutter zitterte.
    »Hast du ihn aufgemacht?«
    »Nein. Ich wollte dir Gelegenheit geben, mir die Sache selbst zu erklären.« Sie fuhr fort: »Ich möchte gern glauben, dass du Mr Templeton nicht verführt hast. Aber da ist dieser Brief. Kannst du mir schwören, Rose, dass er nicht von einem Mann stammt?«
    Rose schwieg. Sie konnte nicht antworten. Sie konnte diesen Schwur nicht leisten, schließlich kannte sie den Absender ganz genau.
    »Das dachte ich mir. Ach, Rose!« Die Stimme ihrer Mutter wurde brüchig vor Schmerz. »Und das, nachdem ich dir immer eingeschärft habe, wie wichtig es ist, einen makellosen Ruf zu bewahren. Ach, wenn du nur wüsstest …« Sie brach ab und forderte ihre Tochter stattdessen auf: »Öffne ihn jetzt, bitte. Vor meinen Augen.«
    Rose rührte den Brief nicht an.
    »Das … das kann ich nicht.« Wenn sie ihrer Mutter den Brief zeigte, gäbe sie Lady Adas Geheimnis preis. Wie könnte sie ihr das antun, wo sie doch wusste, dass das ihr Leben zerstören könnte? Vielleicht würde ihre Mutter nichts verlauten lassen, aber Rose durfte kein Risiko eingehen.
    »Du begreifst doch, dass ich das Schlimmste von dir annehmen muss, wenn du dich weigerst«, sagte ihre Mutter mit kalter Stimme. Rose ließ den Kopf hängen.
    Da warf ihre Mutter den Brief auf den Tisch und lief in der Stube hin und her.
    »Ich kann hier nicht bleiben, wenn du entlassen bist. Aber was sollen wir machen? Wo sollen wir hin? Jeder im Dorf wird von deiner Schande wissen, dafür wird Miss Ward schon sorgen. Ich glaube nicht, dass du die ganze Tragweite des Unglücks erfasst, in das du uns gestürzt hast.«
    »Doch, Mutter.« Rose wischte sich die Tränen ab. »Aber ich verspreche dir, dass ich jede ehrliche Arbeit annehmen werde, um dich zu unterstützen. Ich kann Böden schrubben, ich kann in der Fabrik oder auf dem Feld arbeiten. Ich bekomme schon genug zusammen, dass wir nicht verhungern.«
    Ihre Mutter hörte ihr kaum zu. »Vielleicht war es meine Schuld.« Sie sah in den Spiegel über dem Kamin. »Vielleicht hätte ich dir die Wahrheit sagen sollen.«
    Rose runzelte die Stirn. »Was meinst du damit, Mutter?
    Ihre Mutter drehte sich rasch um. »Rose,

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