Rasheed, Leila
merkwürdig vor, wie ein Eindringling. Sie wusste nicht, was sie sagen würde, wusste aber, dass sie etwas sagen musste . Sie konnte nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen.
»Herein«, rief eine schwache Stimme.
Ada drückte die Tür auf. Rose, erschöpft und sichtlich immer noch unter Schock, packte ihre Kleider in einen kleinen, abgestoßenen Koffer, der auf dem Bett lag. Neben ihr stand Annie mit rotgeweinten Augen.
»Oh, Mylady, ich bin so froh, dass Sie gekommen sind.« Annie brach wieder in Tränen aus. »Bitte, können Sie Rose nicht helfen? Es ist doch nicht ihre Schuld! Egal, was Mrs Cliffe getan hat, Rose ist nicht schuld!«
Rose senkte den Blick. »Lady Westlake verlangt aber, dass meine Mutter und ich noch heute das Haus verlassen. Entweder das, oder sie geht.«
Ada schauderte es bei dem Gedanken an den Eklat, den es geben würde, wenn Lady Westlake Somerton Court verließe. Dann nahm sie sich zusammen. »Annie hat recht. Es ist nicht Ihre Schuld, Rose«, sagte sie behutsam.
»Ich kann meine Mutter nicht alleine gehen lassen, Mylady«, sagte Rose störrisch. »Außerdem bin ich ja selber schon entlassen worden.«
Ada schwieg. Rose hatte recht, darauf gab es nichts zu erwidern. »Ich weiß einfach nicht, was ich denken soll«, begann Ada zögernd. »Es muss wohl stimmen, aber gleichzeitig scheint es mir so unglaublich, so … Und wie ist es überhaupt herausgekommen, nach so langer Zeit?«
»Stella Ward hat es Lady Westlake erzählt«, sagte Annie verächtlich. »Sieht ihr ähnlich.«
Tränen liefen Rose das Gesicht herunter. »Wir können uns im Dienstbotentrakt nicht mehr blicken lassen«, flüsterte sie. »Da ist es besser, wir gehen.«
Ada und Annie traten gleichzeitig auf sie zu und legten ihre Arme um sie. Doch die Frage, wie Stella Ward sich diese Information erschlichen hatte, ließ Ada nicht los.
»Ich wusste nichts davon«, schluchzte Rose. »Ich hatte keine Ahnung, das müssen Sie mir glauben.«
»Das tun wir auch, Rose, das ist doch klar.« Ada streichelte ihr über die Haare. Sie fühlte sich schrecklich. Und für alles war ihr Vater verantwortlich, davor konnte sie die Augen nicht verschließen. Rose war genauso alt wie sie, was bedeutete, dass er das Verhältnis mit Mrs Cliffe auch während der Ehe mit ihrer Mutter fortgesetzt hatte. Wie hatte er so etwas fertiggebracht? Tränen brannten in ihren Augen. Sie nahm ihren Mut zusammen.
»Rose, versprechen Sie mir wenigstens, dass Sie nicht weit weg gehen. Bleiben Sie im Dorf. Bitte. Meinem Vater ist es sicher nicht recht, dass Sie so hinausgeworfen werden.«
Die Köchin schrak zusammen, als sie Lady Ada in der Küchentür stehen sah. Das Haus war in einem einzigen Durcheinander. Kaum zu glauben, was da für Gerüchte von oben nach unten in den Dienstbotentrakt drangen. Aber Martha und Tobias waren unerträglich gutgelaunt, und Mrs Cliffe und Rose ließen sich tatsächlich nicht mehr blicken. Die Köchin war bis ins Mark schockiert. »Das kann ich von ihr nicht glauben« war das Einzige, was sie dazu sagen konnte, und sie sagte es sich immer wieder. Wenn sogar Mrs Cliffe stürzen konnte, dann waren selbst die Besten unter ihnen vor nichts gefeit.
»Mylady!« Sie erhob sich mühsam. Der Tag entgleiste immer mehr, jetzt kam schon die Herrschaft in die Küche.
»Bitte bleiben Sie doch sitzen! Ich möchte nur meinem Vater etwas zu essen bringen.« Ada sah blass und angeschlagen aus. Jeder konnte sehen, wie ihr die Sache zu Herzen ging.
»Selbstverständlich, Mylady. Entschuldigen Sie bitte, ich hab die Klingel nicht gehört. Ich lasse Annie sofort etwas hoch …«
»Bitte nicht, das übernehme ich lieber selbst.« Lady Adas Stimme klang richtig gequält. Die Köchin sah sie überrascht an. »Ich würde einfach gern … selbst etwas für ihn tun. Verstehen Sie?«
Die Köchin nickte. Sie hatte einmal eine kranke Verwandte versorgt und erinnerte sich noch gut daran, wie tröstlich es war, wenn sie ihr Suppe und Toast brachte. Lady Ada war eben eine gute Seele.
»Ich verstehe sehr gut, Mylady.« Sie holte kalten Braten und Brot. »Wenn Sie einen Moment warten möchten, mache ich Suppe heiß – die Herdplatten sind noch warm …«
»Das ist nicht nötig. Vielleicht noch einen von den Äpfeln. Danke.« Lady Ada lächelte sie dankbar an und nahm das Tablett entgegen. Die Köchin sah ihr bedrückt nach. Diese Geschichte hatte der ganzen Familie einen schrecklichen Schlag versetzt, und es war eine Schande, dass Lady Ada so
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