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Rashen - Einmal Hölle und zurück: Roman (Neobooks) (German Edition)

Rashen - Einmal Hölle und zurück: Roman (Neobooks) (German Edition)

Titel: Rashen - Einmal Hölle und zurück: Roman (Neobooks) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela B. Wahl
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schenkte mir Beachtung. Zum Glück war Paris die erste Station.
    Die Türen glitten auf und gaben den Weg zu einer Toilette am Gare du Nord frei. Die Kabine war von innen verschlossen und ließ sich nur öffnen, wenn man aus der Zwischenwelt hineinkam. Ich betätigte die Spülung, als die Türen sich hinter mir schlossen, und trat anschließend hinaus auf das Bahnhofsgelände. Es herrschte dichtes Gedränge. Die Leute kamen von der Arbeit und wollten ihre Anschlusszüge oder Bahnen nicht verpassen. Ich stieg in das erstbeste Taxi auf dem Vorplatz, und wies den Fahrer kaltschnäuzig an, mich beim Théâtre du Châtelet rauszulassen.
    »Sie gehen ins Theater?«
    Der Taxifahrer war Ende vierzig, vermutlich Albaner. Er sprach nur gebrochen Französisch, doch ich verstand ihn ausgezeichnet. Schließlich hatte ich in meiner jahrelangen Grundausbildung nahezu alle europäischen Sprachen gelernt, und mit zweihundert Jahren auf dem Buckel hatte sich auch der letzte Akzent ausmerzen lassen.
    »Ja, die Arbeit ruft.«
    Der Fahrer lachte auf.
    »Arbeit? Im Theater? Solche Dinge sind nur zum Vergnügen da!«
    Ein spöttisches Grinsen erhellte mein Gesicht, als sich unsere Blicke im Rückspiegel trafen.
    »Meine Arbeit ist das Vergnügen.«
    »Das freut mich. Ich fahre auch sehr gerne.«
    Ich stützte meinen Kopf in meine Hand und lehnte mit dem Ellenbogen gegen das Fenster.
    Es ging schleppend voran. Die Straßen waren verstopft, aber auf dem Weg Richtung Innenstadt hatte ich das bereits einkalkuliert. Doch endlich bugsierte der Albaner sein Taxi direkt vor den Eingang des Theaters, so dass ich nur noch herausspringen und gegen den kalten Septemberwind ankämpfen musste. Ein luftiger Zug fraß sich die Hose meines Anzugs hinauf und ließ meine Eier auf der Stelle erzittern.
    »Ist das kalt«, fluchte ich, gab dem Fahrer sein Trinkgeld und marschierte die Treppen hinauf ins Theater.
    Die Blicke der Frauen folgten mir, einige leckten sich über die Lippen, andere sahen kurz auf den Boden, um mir anschließend eine Einladung via Augenkontakt zu schicken.
    Ich hatte aber keine Zeit für die Freuden, die Menschen einem bereiten konnten – ihre Unerfahrenheit und Naivität konnte durchaus berauschend sein –, ich musste tatsächlich arbeiten. Ich erreichte meinen Platz auf dem Balkon im ersten Stock, sechs Plätze, einzig und allein für mich angemietet. Wie lang war ich nicht mehr hier gewesen, waren es siebzig Jahre?
    Dasselbe Publikum, gleich gekleidet, genauso einfältig. Sie hatten den Namen des Theaters erst wieder vor einigen Jahren geändert, hauptsächlich klassisches Ballett und Opern wurden gespielt.
    Die Lichter erloschen, das Orchester stimmte sich die letzten Augenblicke ein. Ich holte mein Opernglas aus der Innenseite meines Jacketts und wartete darauf, dass sich der Vorhang hob.
    Die Musik begann zu spielen, der Saal verstummte schlagartig, lauschte gebannt den ersten Tönen. Die lustige Witwe war schon seit jeher ein Stück gewesen, das viele Leute faszinierte. Besonders Hitler hatte sich daran erfreut. Es war die erste Aufführung, die in Frankreich stattfinden sollte.
    Die Anfangsszenen des ersten Aktes vergingen schnell, doch ich hatte sie noch nicht erblickt. Man hatte sie speziell für diese Premiere aus Marseille geholt, sie zu Proben eingeladen. Es war ihre Unschuld, ihre Lieblichkeit, die den Produzenten dazu gebracht hatte, Penelope Dupont die Rolle zu geben. Aber nicht irgendeine Rolle, nein, sie spielte Hanna, das Mädel vom Lande, mittellos, bildschön und intelligent.
    Dann kam sie auf die Bühne, die Haare offen, die Locken wie ein bezaubernder Wall auf ihren Schultern. Ihr Deutsch war gut, mit leichtem Akzent, aber ihre Stimme, die Stimme war atemberaubend. Die Zuschauer hielten die Luft an, starrten die junge Frau an, als sei sie eine kleine Göttin. Bald würde sie mir gehören. Ein kleiner, singender Engel in der Unterwelt. Pragaz würde das ausgesprochen gut gefallen.
    Ich ließ zufrieden das Opernglas sinken, lehnte mich vor bis an die Balustrade und lauschte der zarten Stimme der Französin. Es würde ihr letzter Abend werden. Ich hatte ihren Tod bereits veranlasst.
    Plötzlich nahm ich einen dunkelblonden Schopf wahr, der den Balkon hinaufstarrte, meinen Blick suchte. Seine braungrünen Augen waren erbarmungslos entseelt, sein Mund eine harte Linie, die hohen Wangenknochen betonten sein markantes Gesicht. Chaske. Er saß direkt unter mir, einige Reihen weiter vorne. In seinen Augen loderte der

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