Rashen - Einmal Hölle und zurück: Roman (Neobooks) (German Edition)
sie, ihre Träume, ihre Intelligenz.
Je länger ich Claire betrachte, desto schwerer fällt mir das Atmen und desto mehr spüre ich das altbekannte Ziehen in meiner Brust. Ein Ziehen, das mit keinem Schmerz der Welt zu vergleichen ist. Ich stecke nicht mehr ins James‘ Körper und dennoch löst dieses Mädchen etwas in mir aus. Es beunruhigt mich zutiefst.
Angestrengt beiße ich die Zähne zusammen, will meinen Blick nicht abwenden. Ein zärtliches Lächeln umspielt ihre Lippen, sie sieht glücklich aus. Ihre dichten, schön geschwungenen Wimpern zucken im Schlaf.
Die Haut rund um Claires Arm beginnt zu brennen, so heftig, dass ich kaum noch Luft bekomme. Eine neue Woge durchfährt meine Brust, und ich balle die Hände zu Fäusten, bis meine Knöchel vor Anstrengung weiß hervortreten. Kein Laut dringt über meine Lippen, die ich fest zusammenpresse.
Es gibt keinen anderen Weg. Ich muss Claires Seele nehmen. Andernfalls ist mein Dasein als Dämon ein für alle Mal vorbei.
Mein rasselnder Atem hallt dröhnend in meinen Ohren. Ein Wunder, dass Claire noch nicht aufgewacht ist.
Ein Stich, dort, wo ich für kurze Zeit ein Herz besaß. Ich drücke eine Faust dagegen und versuche einen ruhigeren Atemrhythmus zu finden.
Wieder fällt mein Blick auf Claire. Da spüre ich unerwartet ihre kalten Finger auf meiner geballten Faust. Unendlich zärtlich und noch halb im Schlaf, versucht sie diese zu öffnen, die zarten Finger umschließen die meinen. Ihre Hand gräbt sich in meine und raubt mir für den Bruchteil einer Sekunde den Atem.
Noch nie hat ein Mensch mir Zuneigung oder Vertrauen entgegengebracht. Diese kleine Geste macht mich sprachlos. Meine Brust wird eng, dann eine Schnur, die sich um meine Kehle zieht und sie dann langsam zudrückt. Ich sitze viel tiefer in der Scheiße, als ich gedacht habe. So tief, dass es keinen Ausweg für mich gibt. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Blitzschlag: Ich kann Claires Seele nicht in die Zwischenwelt nehmen. Ich kann ihr Leben nicht beenden und dann die Ewigkeit mit diesem Wissen verbringen.
Diese Feststellung ist erschreckend und offensichtlich zugleich.
Claires Finger streichelt über meinen Handrücken, eine kleine Geste, die mich noch mehr verunsichert und meinen Körper in einen Ausnahmezustand versetzt.
Ich konzentriere mich auf das Geräusch ihres Atems und versuche mir jedes Detail ihrer Erscheinung einzuprägen. Vorsichtig löse ich meine Hand aus ihrer, vorsichtig, damit sie nicht aufwacht. Dafür, dass ich schon einige Zeit hinter mir habe, erscheinen mir die Sekunden wie die Ewigkeit höchstpersönlich.
Claire dreht sich zu mir um, während ich lautlos aufstehe. Mein Blick fängt ihre nackte Gestalt ein. Mein Entschluss verfestigt sich, als Claire einen katzenähnlichen Laut ausstößt und suchend an die warme Stelle, auf der ich eben noch gelegen bin, rutscht.
Ich sammle meine Klamotten zusammen und verschwinde aus der Wohnung.
Stundenlang streife ich umher. Piccadilly Circus. Der Platz ist voll von Menschen, die zur Arbeit gehen oder den Eros-Brunnen bestaunen. Der Eingang zur Zwischenwelt befindet sich gerade mal eine Straße weiter.
Die Entscheidung, die in mir heranreift, schmerzt gefährlich in meiner Brust. Dennoch: Es ist der einzige Weg.
Mit schnellem Schritt erreiche ich den Aufzug, fahre hinab, trete dann aus dem Gebäude in die graue Landschaft der Zwischenwelt. Eine leichte Sepiafarbe hat sich daruntergemischt. Ich bahne mir den Weg durch die Straßen, Dämonen, in menschlicher und nichtmenschlicher Gestalt, weichen mir aus. Der Geruch nach Tod und Blut, vermischt mit einer durchdringenden Note von Asche, lässt mich vor Ekel die Nase rümpfen. Vor kurzem hatte ich noch den Duft von Claires Haut in der Nase und jetzt den Gestank der Zwischenwelt. Alles, was mich mein gesamtes Dasein begleitet hat, erscheint mir auf einmal so falsch. Meine Gedanken erschrecken mich selbst, doch ich habe keine Zeit, sie weiter auszuführen, denn ich erklimme bereits die großen Steintreppen der Villa.
Die Schreibtischschlampe aus Pragaz’ Büro sieht mich überrascht an, als ich energisch die Tür aufstoße …
»Wo ist er?«, belle ich und baue mich drohend vor ihr auf.
Nervös zupft sie an ihrem blonden Haar herum. »Im schwarzen Saal, aber er ist gerade in einer Besprechung.«
Ohne auf ihren Protest zu reagieren, reiße ich die Tür zum Wartezimmer auf und marschiere, von neugierigen Blicken begleitet, hindurch.
»De Andiel, Sie können da nicht
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