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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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setzte Palladius den Schnaps mit unterschiedlichen Pfanzen auf, die er bei seinen Wanderungen in den Fjells fand. Er bezeichnete sein selbst gemachtes Gebräu als Kräuterschnaps und erläuterte mit feierlichem Gesichtsausdruck seine botanisch inspirierten Experimente. Er wies auf eine Flasche nach der anderen. Blaubeere, Heidekraut, Krähenbeere. Ja, ja, der Kunstmaler müsse unbedingt alles probieren. Palladius nötigte ihn und duldete keinen Widerspruch. Er behauptete, man würde die gesamte grönländische Natur darin schmecken können.
    Mit zitternden Händen schenkte er zwei Schnapsgläser ein.
    Carl fragte ihn, ob sich in Upernavik ein Grönländer namens Jonas aufhielt. Er wollte gerade mit einer näheren Beschreibung beginnen, als Palladius abwehrend die Hand hob. Dabei schlürfte er aus seinem Schnapsglas. Den größten Teil goss er sich auf die Weste, die ohnehin ein reiches Panorama an Flecken aufwies. Dann schenkte er sich erneut ein, bevor er Carls Frage beantwortete.
    Nein, von einem Jonas hatte er noch nie gehört.
    Carl sah ihn verblüfft an. Zum ersten Mal begegnete er jemandem, der Jonas nicht kannte.
    »Sind Sie sicher?«
    Palladius schlug auf den Tisch und setzte eine beleidigte Miene auf, als hätte Carl seine gesamte Amtsführung als Pastor in Frage gestellt.
    »Sicher? Ja, natürlich bin ich sicher. Upernavik ist seit dreißig Jahren mein Sprengel. Und es gibt hier wohl kaum eine Seele, die ich nicht über das Taufbecken gehalten habe. Ich müsste es wissen!«
    Er goss sich einen weiteren Schnaps ein und prüfte ihn mit Kennermiene vorsichtig mit der Zunge. Zu Carls Erleichterung vergaß er vollkommen, auf das Glas seines Gastes zu achten, das noch immer halb voll dastand.
    »Wir haben hier einen Barabbas, einen Judas, einen Herodes, Kain, Nebukadnezar, Goliath – oh ja, der sieht übrigens sehr komisch aus. Stellen Sie sich so einen kleinen krummbeinigen Eskimo vor, so einen Dreikäsehoch, und dann heißt er Goliath.«
    Er lachte laut über seinen eigenen Witz. Dann setzte er seine Aufzählung fort.
    »Wir haben sogar einen Pontius Pilatus. Aber keinen Jonas, obwohl es hier ja genügend Wale gäbe, in denen so ein armer Schlucker eine mittelfristige Unterkunft finden könnte.«
    Carl fühlte sich von der Sauferei des Pastors abgestoßen und entschuldigte sich mit einer dringenden Angelegenheit.
    »Ich bin Ihnen wohl nicht gut genug?«
    Palladius hatte die eigentliche Ursache für die plötzliche Eile seines Gastes erraten und blickte mit glasigen Augen auf. Mit einem wütenden Ausdruck in seinem aufgequollenen Gesicht wies er auf die Tür.
    »Gehen Sie bloß. Sie langweilen mich ohnehin. Sie verstehen’s ja nicht mal, einen ordentlichen Kräuterschnaps zu würdigen. Und Sie nennen sich Künstler! Sie müssten doch der Erste sein, der die Freuden des Lebens zu schätzen weiß. Ha! Ja, entschuldigen Sie, dass ich lache. So eine Memme!«
    Er lehnte sich vornüber und griff nach Carls halb gefülltem Glas.
     
    »Ich höre, Sie waren zu Besuch bei Pastor Krähenbeere?«
    Kapitän Thomsen sah ihn über den gedeckten Tisch im Salon hinweg an. Ryberg saß wie gewöhnlich mit konzentriertem Ausdruck in seinem zerschnittenen Gesicht am Tisch und verschlang Labskaus von seinem bereits halb leeren Teller.
    »Palladius«, sagte Carl, »er heißt Palladius.«
    »Na, von mir aus.« Thomsens Ton klang munter. »Ich nenne ihn also Krähenbeere. Mit dem guten Pastor ist es so wie mit seinen Krähenbeeren. Den Winter über liegt er in Spiritus.«
    Er warf einen Blick auf den noch immer kauenden Ryberg. Dann legte er Messer und Gabel beiseite und beugte sich über den Tisch.
    »Sie haben vermutlich die seltsamen Namen bemerkt, mit denen die armen Grönländer hier in Upernavik herumlaufen?«
    »Ja, es scheint, als wären sie alle nach den Schurken der Bibel benannt.«
    »Ja, ist das nicht komisch? Die Erklärung ist ganz simpel. Krähenbeere ist immer besoffen, wenn er am Taufbecken steht. Sie sollten die Kisten von Messwein sehen, die wir jedes Jahr hier hoch transportieren. Genug für sämtliche Kirchen Kopenhagens. Ich sehe, Sie stutzen, Rasmussen. Sie sind doch nicht etwa entrüstet, weil Sie hören, dass ein Pastor bei der Ausübung des Gottesdienstes besoffen ist?«
    Carl zuckte die Achseln. Er war empört, aber er wusste, dass seine Empörung bei Thomsen nur Heiterkeit hervorrufen würde.
    »Die schwarzen Schafe der Pastorenfamilien enden in Grönland. Das ist Ihnen vermutlich bekannt? Sie sind bereits

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