Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)
in ihm als Langeweile niedergeschlagen, einer Lethargie, die leicht mit Erschöpfung verwechselt werden konnte. Die erste Landkennung ließ ihn unruhig werden, aber da er nichts fand, woran er diese Unruhe auslassen konnte, schlug sie in Irritation um, die sich in ihn hineinfraß und jene nagende Unzufriedenheit verstärkte, die er in diesen Jahren ohnehin spürte. Längst hatte er die Freude verloren, Wolken zu studieren. Er erinnerte sich von seiner ersten Reise, dass der arktische Himmel große farbengesättigte Panoramen anbot, doch diesmal blieb das Drama aus. Die Wolkendecke hing tief und zeigte ein unverändertes Grau, ohne die geringste Herausforderung an seine Beobachtungsgabe oder seinen Pinsel.
Fast hatte es zum Sturm aufgefrischt, als sie vor Kap Farvel der Nordlys begegneten, einem der anderen Schiffe der Königlich Grönländischen Handelsgesellschaft. Von Deck zu Deck wurden Grüße gebrüllt und die Flaggen gedippt, bevor jedes Schiff seinen Kurs fortsetzte.
Carl malte ein Aquarell von der Begegnung der beiden Schiffe, vom Achterdeck der Peru aus gesehen. Die Nordlys war auf dem Weg in schwere See, und die Peru krängte gewaltig. Die Seeleute mussten sich auf dem schrägen Deck zur Seite lehnen, als sie das vorbeisegelnde Schiff mit dem Fernrohr beobachteten und die Signale gaben. Sie trugen Südwester und Ölzeug, mit ihren bärtigen Gesichtern und tief liegenden Augen glichen sie Michael Anchers Skagenfischern, eine Ähnlichkeit, die ihm zunächst nicht aufgefallen war und ihn ärgerlich werden ließ. Unzufrieden legte er das Resultat seiner Arbeit beiseite.
Natürlich hatte die Skizze Rhythmus und Bewegung. Auch die Ähnlichkeit war tadellos. Obwohl er die Gesichtszüge der Seeleute nur grob skizziert hatte, hatten ihn einige Männer gelobt. Unter ihnen musste er sich nicht wie ein Fremder fühlen. Sie akzeptierten ihn wegen seines technischen Könnens, und er hatte zu ihnen im Grunde das gleiche Verhältnis. Er bewunderte sie für ihre Seemannschaft, unternahm aber keinerlei Anstrengungen, um sie näher kennenzulernen.
Carl litt unter Bauchschmerzen. Er hatte immer Bauchschmerzen gehabt; Probleme mit der Leber und eine Gallenschwäche zwangen ihn zu einem höchst eingeschränkten Kostplan. Er vertrug weder Speck noch fettes Rindfeisch, Kaffee oder Schnaps. Nur Milch und frischen Fisch bekam er herunter. Fisch konnte er an Bord der Peru schon bekommen, allerdings nur geräuchert oder eingesalzen, da die Seeleute nicht direkt vom Schiff aus angelten.
Carl sah Kapitän Thomsen an, was er dachte, wenn er im Achtersalon, wo die täglichen Mahlzeiten eingenommen wurden, im Essen herumstocherte und über Magenschmerzen klagte.
Der Kapitän hatte anfangs noch mit Branntwein verdünnten Rigabalsam ausgeschenkt. In jovialen Wendungen beschrieb er den hausgemischten Trunk als die beste Medizin gegen jede Art von Schmerzen.
Auch dieses Angebot musste Carl ausschlagen.
»Mein Magen verträgt es nicht«, sagte er höfich.
Er hörte selbst, wie künstlich es klang.
»Versuchen Sie’s mit Englischem Salz«, riet der Kapitän. »Anfangs kratzt es ein wenig. Aber ich verspreche Ihnen, es tut gut.«
C arl kehrte mit dem Gefühl nach Kopenhagen zurück, ein Veteran des Lebenskampfs zu sein. Er hatte gelitten und gekämpft und er hatte sein Ziel erreicht. Die Tore der Akademie öffneten sich ihm.
In der Hand hielt er einen Koffer voller frisch genähter Kleider – Geschenke seines Vaters, als Carl von dem Sommertörn mit Skipper Rasmussen nach Hause zurückkehrte. In der Stunde der Niederlage hatte der Vater ihm seine Verachtung gezeigt. Nun wollte er am Glanz teilhaben. Nicht der Gedanke an die Kunstakademie ließ den Blick des Vaters wieder lebhaft werden. Sondern, dass es sich um die Königliche Akademie handelte. Als Carl das Haus seiner Kindheit betrat, erwartete ihn eine neue Garderobe, zwei weiße Hemden, eine gestreifte Hose und eine Jacke mit kurzen Schößen. Alles vom Vater zugeschnitten und genäht. Jedes Kleidungsstück hielt er Carl an, um zu kontrollieren, ob es passte.
»Als würde man das Ziel seines Sohnes nicht kennen«, erklärte er mit einer neuen Herzlichkeit.
Seine Hand glitt am Revers der Jacke herab.
»Schau, die neueste Mode aus London.«
Wieder saßen sie am Tisch und aßen zusammen. Carl hatte seine Magenbeschwerden noch immer nicht überwunden. Ein langer Sommer mit Schiffszwieback und getrocknetem Fisch hatte nicht geholfen, doch diesmal zerfoss der Vater vor
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