Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)
stellten sie in die Fensterbänke, auf Kommoden, Tische und Regale; sie legten sie ihm in die Hände, wenn er sie besuchte, und sie blickten ihn an, als hätten sie etwas von sich selbst preisgegeben.
Er war nach Marstal gekommen, weil er der Kunst ein Stück von Dänemark öffnen wollte. Er wollte das dänische Volk schildern. Aber wie sollte er so etwas darstellen?
Es handelte sich bei all den seltsamen Gegenständen, die die Marstaller mit nach Hause brachten, um Götzenbilder. Er fand kein anderes Wort dafür.
Er wollte die Menschen malen. Aber sie baten ihn, ihre Abgötter zu malen. Sie wollten zusammen mit ihren ausgestopften Alligatoren, ihren Masken und Giftpfeilen, ihren Haigräten, aus denen sie Spazierstöcke gefertigt hatten, ihren Kalabassen, Bumerangs und Opiumpfeifen dargestellt werden.
Handelte es sich um Trophäen, gewonnen in einem Kampf, den er nicht verstand?
Er musste es ablehnen. Nicht, weil es hässlich, sondern weil es so absonderlich war, dass es ebenso gut hätte hässlich sein können. Es hatte etwas Wahnsinniges. Genauso wie ihnen der Wahnsinn in den Augen stand, wenn sie in mitgebrachten Krankheiten fieberten, deren Namen kein Arzt kannte und für die sich keinerlei Heilmittel fand. Mit merkwürdigen Kräuterextrakten, die sie zusammen mit der Krankheit aus irgendeinem fernen Dschungel mitgebracht hatten, versuchten sie, sich selbst zu kurieren.
Die Maler in Skagen konnten Fischer malen, die auf dem Sofa ihren Mittagsschlaf hielten, den breiten Rücken der Stube zugekehrt. Es wirkte so einverständig, so geborgen. Es war das Leben. Er konnte keine Männer malen, die sich, von Götzenbildern umgeben, mit verzerrten Gesichtern und wahnsinnig leuchtenden, fiebergelben Augen in ihrem durchgeschwitzten Bettzeug wälzten.
An welchem Ort war er gestrandet? Marstal war voller Geheimnisse und Türen, die zu öffnen er keine Lust verspürte. Die Seeleute der Stadt lebten in vielen Welten auf einmal, nicht nur in der Welt, die er kannte und die ihm vertraut war. In ihnen steckte nicht nur ein Mensch, sondern viele, so schillernd bunt und grotesk wie ein Karnevalsumzug im Süden.
Albert Madsen hielt er für den Schlimmsten von allen.
Carl hatte ihn viele Jahre nicht gesehen. Seit dem Sommer, als er die Jungen aus Marstal getroffen hatte und sie ihm den Dachboden zeigten, auf dem Laurids’ Seestiefel bei Gewitter allein umhermarschierten, hatte er nicht mehr mit Albert gesprochen. Albert segelte auf großer Fahrt und besaß ein eigenes Schiff, die Brigg Princess, das einen englischen Namen trug, obwohl Marstal der Heimathafen war. Später sollte er an Land gehen, um sich als Reeder und Makler niederzulassen und das große Haus in der Prinsegade zu bauen. Damals wohnte er noch in einem der kleinen Häuser in der Sølvgade.
Albert war einige Jahre jünger als Carl, aber Carl verspürte den gleichen Respekt vor ihm, den ein Jüngerer normalerweise einem Älteren gegenüber empfindet. Albert verfügte über eine imponierende Statur und strahlte eine gelassene, aber unerschütterliche Autorität aus, die von einem gepfegten Vollbart und kurz geschnittenem Haar unterstrichen wurde, deren schwarze Farbe sein Gesicht noch kraftvoller erscheinen ließ. Als wäre seine ganze Erscheinung mit Kohle nachgezogen worden, der Bart, die Haare, die Augenbrauen. Carl wollte Farben verwenden und ein Porträt schaffen, das ausdrückte, was Drachmann einmal als Inkarnation der dänischen Seefahrernatur bezeichnet hatte: offen, gesund, kräftig und wahrhaftig.
Albert gab ihm die Hand und hielt sie einen Moment fest.
»Ja, ich habe nie daran gezweifelt, Carl, dass du es weit bringen wirst. Ich habe mir eher Sorgen darum gemacht, ob du die Reise überstehst. Es fällt uns ja nichts in den Schoß in diesem Leben, auch nicht, wenn man Künstler werden will.«
In den Worten schwang Anerkennung mit. Carl spürte, dass er als Gleicher unter Gleichen angesprochen wurde, eine Erfahrung, die er in Marstal bisher selten gemacht hatte; meist hatte er den Eindruck, zur gleichen Zeit sowohl über als auch unter den Menschen zu stehen, mit denen er verkehrte. Die Marstaller waren skeptisch, gleichzeitig bewunderten sie ihn. Beides führte dazu, dass Carl sich ausgegrenzt fühlte, allerdings nicht in Alberts Gesellschaft. Sie hatten in ihrem Leben beide für und gegen etwas kämpfen müssen, und sie waren weitergekommen. Das zumindest meinte er aus Alberts Bemerkung herauszuhören.
Carl trat in Alberts Wohnzimmer und sah
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