Rasputins Tochter
Wie würde ich ihn ansehen können? Aber als er ein paar Augenblicke später hereinkam, war es nicht mit seiner donnernden Stimme und seinen schnellen Schritten. Eher war es ein Schlurfen, denn er ging nur mit der Hilfe von Dunja, die ihm am linken Arm hielt.
„Papa, was ist los?“, keuchte Warja und eilte an seine Seite.
Er sah schrecklich aus, als ob er gerade zwanzig Jahre gealtert wäre, und für einen kurzen Augenblick fühlte ich Sorge. Seine Haare fielen in alle Richtungen wie ein Weizenfeld nach einem Sommergewitter, sein Gesicht war bleich und seine Augen waren rot. Er war auch schrecklich gekleidet, indem er eine schmutzige ausgebeulte Hose und eine Tunika aus grober Baumwolle trug.
„Ich hatte noch einen Traum … noch eine Vision …“
„Bitte, Vater Grigori“, schmeichelte Dunja. „Nur Tee und ein wenig zu essen. Dann werden Sie sich besser fühlen, ich verspreche es.“
Sie führten Papa entlang, Dunja auf einer Seite und Warja auf der anderen. Zuhause war ein gebeugter alter Mann, der in einer herabgekommenen Hütte wohnte, und wir verhöhnten ihn gnadenlos, indem wir ihn starii chren - ein altes Stück Meerrettich - nannten. Gleich hier und jetzt war das mein Vater. War er in einen Teich der Reue gefallen? Hatte er um Gottes Vergebung für die Art, wie er diese Frau behandelt hatte, gebeten? Ich konnte es nur hoffen.
Ich stand bewegungslos hinter meinem Stuhl, als Dunja etwas Teekonzentrat aus der kleinen Kanne oben auf dem Samowar eingoss, dem sie heißes Wasser aus dem Zapfen hinzufügte. Als ob es nichts als kühles Wasser aus einem Strom zu Hause wäre, goss er das Glas in einem Schluck hinunter. Dunja schenkte ihm eine weitere ein, die er ebenso bis zum Boden austrank. Und noch eine. Papa trank manchmal bis zu fünfzig Gläser Tee an einem Tag, aber niemals so, so begierig wie ein sonnenverbrannter Mann, der gerade aus der Wüste kam. Schließlich mit seinem vierten Glas in der Hand setzte er sich. Erst dann nahmen wir drei unsere Plätze ein.
„Was ist los, Papa? Was hast du gesehen?“, bettelte Warja, ihre glatte junge Stirn vor Sorge gerunzelt.
„Blut. Ich habe die ganze Newa mit Blut fließen sehen.“
Warjas Augen gingen plötzlich vor Tränen über und sie drängte: „Wessen Blut, Papa?“
„Das Blut der Großherzöge.“
„Oh“, sagte Warja nicht ohne ein bisschen Erleichterung.
Dunja ergriff leise das Wort. „Bitte, Vater Grigori, Sie dürfen solche Dinge nicht sagen. Solches Gerede wird den Mädchen nur Angst machen, es wird nur -“
„Lasst uns beten!“, stimmte Papa an und streckte die Hände aus.
Unter dem schweren bronzenen Kerzenleuchter, mit Papa an einem Ende des Tisches und Dunja am anderen, umfassten wir die Hände und beugten unsere Häupter.
„Lieber himmlischer Vater, ich flehe dich an, uns, deinen elendsten Kindern, die deine Vergebung suchen, zu Hilfe zu kommen. Wir werden nicht mehr sündigen. Ich bete zu dir, uns Erlösung zu gewähren, um unsere Feinde zu vertreiben, sowohl die innerhalb unserer Grenzen als auch darüber hinaus. O Gott, o wundersamer Herr, wie kann man versagen zu glauben?! Die Straße ist gewunden, aber vorne liegt nur ein Ziel, und wir mühen uns zu Fuß dorthin. Wie glauben herzlich, Herr, und Wehe denen, die es nicht tun! Die Wogen der Verleumdung können nur durch gute Taten gestillt werden, aber es ist wahr, es gibt viel mehr Krankheit auf Land als in deinem großen Meer. So in dir, o Herr, o Gott, hilf uns zu frohlocken, sodass in deinen Wundern der Vergebung wir ewigen Frieden finden. Amen .“
„ Amen “, fielen Dunja und Warja im Chor mit ein.
Als ich versagte zu sprechen, starrte mich Dunja böse an und ich murmelte widerwillig: „ Amen .“
Als Kind verstand ich nie die Gebete meines Vaters. Auch heute Abend nicht. Was jedoch anders an heute Abend war, war, dass ich mich nicht länger durch die Worte meines Vaters oder seiner angeblichen Weisheit ehrfürchtig fühlte. Ich fühlte nur etwas … etwas Trauriges, etwas Bemitleidenswertes.
Papa nahm ein Stück Brot in seine Hand, legte eine einzige große eingelegte Gurke darauf und stopfte es in seinen Mund. Es war in zwei Bissen fort.
„Wein!“, gebot Papa.
„Ja, Vater Grigori“, erwiderte Dunja, schob ihren Stuhl zurück und stand vom Tisch auf.
Nachdem Dunja in der Küche verschwunden war, kehrte sie schnell zurück, nicht mit einem bloßen Glas Wein, sondern mit einer vollen Flasche. Als sie jedoch Papa ein Glas einschenkte, konnte ich erkennen,
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