Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Steinhöring, offensichtlich
außerehelich.« Ingeborg sah zufrieden zu Martin auf. »Na bitte. Hier haben Sie Ihre
Namen.« Sie sah ihn an und fand ihn alles andere als begeistert vor.
»Von Hartmut
Wegleiter hab ich gehört, amtierender Politiker, Sohn Wegleiters, aber einen Karl
und eine Eleonore kenne ich nicht. Die verstorbenen Kläger in dem Prozess hießen
anders. Komplett anders.«
»Das heißt,
entweder bekamen sie neue Namen von ihren Pflegeeltern oder …«
Martin setzte
das Unausgesprochene fort: »… oder es sind andere Kinder Wegleiters, die mit dem
Prozess nichts zu tun haben und für uns völlig uninteressant sind.«
Ingeborg
zuckte mit den Achseln. »Mal ’ne ganz dumme Frage. Warum fragen Sie diesen Franz
Wegleiter nicht einfach? Aus meinen Unterlagen geht nicht hervor, dass er verstorben
ist.«
»Das werden
wir noch tun, aber bevor man Antworten bekommt, muss man die Fragen kennen. Wir
sind in unseren Ermittlungen noch weitgehend am Anfang.« Martin nieste zwei Mal
heftig hintereinander und betrachtete die letzten beiden Papiertaschentücher in
der Verpackung. »Okay. Machen wir weiter. Was ist mit Dr. Fürst? Fürst hat vor und
während des Krieges Medizin studiert und für eine Weile als Arzt für Innere Medizin
und Chirurgie in einem Krankenhaus bei Bremen gearbeitet. In den Sechzigern hat
er eine Privatklinik bei Hamburg gegründet und mit großem Erfolg 30 Jahre geführt.
Ich habe mir die Homepage angesehen. Die komplette Promi-Welt des Nordens lässt
sich dort scheinbar behandeln. Es gibt keinen Makel am Körper, den die nicht mit
Beauty-OPs beheben können. Wie es aussieht, führt sein Sohn die Klinik jetzt weiter.
Es fehlen
mir jedoch Hinweise auf die Zeit zwischen 1940 und 1950. Ich weiß, dass Fürst nach
Lüneburg in eine sogenannte Kinderfachabteilung versetzt wurde, doch was hat Fürst
in dieser Zeit getrieben? Hat er im Krieg uneheliche Kinder gezeugt und wenn ja,
mit wem, und wo sind sie entbunden worden?«
Ingeborg
blies die Wangen auf und ließ einen Schwall Atem entweichen. Sie schüttelte den
Kopf und rückte den Stuhl zurecht. Dann legte sie wie eine Klavierspielerin die
Finger aneinander und ließ die Gelenke knacken. Sie gab den Namen Dr. Richard Fürst
in den Computer ein und fand eine Liste von Namen, die den Vornamen Richard oder
den Nachnamen Fürst enthielten. Offensichtlich ein gängiger Name zu Kriegszeiten.
Auf der zweiten Seite wurde sie fündig. Richard Fürst, geboren am 9. November 1919
in München.
Frau Kassner
durchforstete die Seiten und murmelte dabei Unverständliches vor sich hin. »Kinderfachabteilung,
sagen Sie?«
Martin nickte
und riss die Augen auf.
»Es gibt
hier einen Eintrag zu Fürsts Dissertation. Er beschäftigte sich mit einem Medikament
namens Luminal.«
Martin rümpfte
die Nase. »Sagt mir nichts.«
»Warten
Sie. Hier steht das Thema seiner Doktorarbeit: Anwendung und Wirkungsweise von Luminal
bei Tuberkulose. Eine Zweijahresstudie. Von Richard Fürst – München.«
»Haben Sie
hier Internetzugang?«, fragte Martin. Ingeborg nickte und hatte bereits einen institutsinternen
Browser geöffnet. »Schauen Sie mal bei pub med oder Wikipedia oder anderen Seiten
nach.«
Ingeborg
surfte durch das Internet auf der Suche nach diesem Medikament.
»Hier hab
ich was. Luminal wurde während des Kriegs als Barbiturat, also als Schlafmittel
verwendet.«
»Was hat
ein Schlafmittel mit Tuberkulose zu tun?«, fragte Martin.
Ingeborg
antwortete nicht gleich, sondern scrollte einige Seiten weiter. Dann reagierte sie
auf seine Frage, und das Entsetzen stand ihr im Gesicht geschrieben. »… weil Luminal
nicht als Schlafmittel, sondern als Gift verwendet wurde. Ich habe mich vor einigen
Jahren im Rahmen von Nachforschungen mit diesen Fachabteilungen beschäftigen müssen.«
»Das Euthanasieprogramm
der Nazis für Kinder«, bestätigte Pohlmann.
»Genau.
Die konsequente Vernichtung lebensunwerten Lebens, zumindest nach Ansicht der Mörder.
Alle Kinder, die in irgendeiner Weise nicht der perfekten Norm entsprachen und Behinderungen
aufwiesen, wurden umgebracht.«
»Mit Luminal.«
»Nicht nur.
Die Kinder wurden ja nicht gleich getötet, sondern erst, nachdem zahlreiche Tests
und Experimente an ihnen durchgeführt worden waren. Entweder sind sie schon während
der Tests gestorben und das, was von ihnen übrig geblieben ist, wurde auf diverse
grausame Weise getötet. Andere sind in Gaskammern verschwunden. Haben Sie schon
einmal von der Aktion T4
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