Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
es die hilfreiche Hand, die ihm entgegengestreckt wurde, und
die unerwartete Freundlichkeit, die er erfuhr, obwohl er sich wie ein Kotzbrocken
verhalten hatte? Als Nachtisch gab es Vanillepudding mit Himbeeren, und er bemühte
jede noch funktionierende Geschmacksknospe auf seiner abgestumpften Zunge. Er lehnte
sich zurück und trank einen großen Kaffee. Gerade als er den heißen Becher an den
Lippen ansetzte, klingelte sein Handy. Er erkannte die Nummer seines Freundes Werner
und nahm ab.
»Hi. Wie
läuft’s in Hamburg?«
»Warum gehst
du nicht an dein Handy, du Idiot?«
»Wann? Heute
Vormittag, als Schöller anrief? Na ja, ist doch klar. Weil es Schöller war, der
anrief. Warum sollte ich mit ihm reden, hm? Also, was ist los? Was hat Schölli mir
zu sagen?«
»Na, zum
Beispiel, dass er dich am liebsten vom Dienst suspendieren will und dich in den
nächsten Flieger zurück nach Ecuador setzen möchte.«
»Ja, genau,
so etwas in der Art habe ich mir gedacht. Hat er auch mal etwas Konstruktives zu
meiner Arbeit zu sagen? Immerhin hat er zwei Jahre nichts auf die Reihe gekriegt.«
»Schöller
hat getobt, als der Passat nicht ansprang. So hab ich ihn noch nie erlebt. Er ist
ausgestiegen und hat ihn mit seinen Designerschuhen getreten. Normalerweise war
er verträglich, bis du aus Ecuador zurückgekommen bist. Du hättest ihn heute erleben
müssen. Ständig hatte er seinen Vater an der Strippe, musste sich rechtfertigen
und Belehrungen über sich ergehen lassen. Klaus knallte die Tür von seinem Büro
zu, tat schrecklich wichtig und geheimnisvoll. Aus irgendeinem Grund schaltet sich
Schöller senior intensiver in die Aufklärung dieser Mordserie ein als sonst.«
»Hast du
mit dem Priester gesprochen? Kriegt er Personenschutz?«
»Hab ich.
Keine Chance. Er sagt, er brauche keinen Schutz. Er sei schon beschützt oder so
ähnlich.«
»Ah ja,
schon klar. Priester. Höhere Macht und so. Gott, Engel und der ganze Club.«
»Na ja,
so hat er es nicht formuliert, aber wahrscheinlich meinte er es so. Er sagte, er
sei sein ganzes Leben ohne Polizeischutz klargekommen und hätte die letzten 45 Jahre
davon auf Gott vertraut.« Pohlmann nahm einen Schluck Kaffee, während er von den
religiösen Ansichten des Priesters hörte. Hartleib fuhr fort. »Hey, wir können ihn
nicht zwingen. Das weißt du. Er macht einen gelassenen und nicht besonders ängstlichen
Eindruck, obwohl er genau weiß, dass er sich in akuter Gefahr befindet.«
»Okay, dann
lass ihn. Ich werde ihn morgen noch mal besuchen. Was ist mit dem Mann von Ursula
Seifert? Ist der ansprechbar?«
»Ja, genau.
Gut, dass du den erwähnst. Ich war heute Mittag bei ihm. Er kann es absolut nicht
fassen, dass seine Frau nach der OP nicht mehr aufgewacht ist. Er will die Klinik
in Millionenhöhe verklagen und so weiter. Du kennst das ja. Der erste Schock, bevor
Lethargie und Ohnmacht kommen.«
»Hat er
was dazu gesagt, dass es auch Mord gewesen sein könnte?«
»Na ja.
Ich habe es vorsichtig angesprochen. Wegen des verlorenen oder eines beabsichtigten
neuen Prozesses. Er wurde dabei sehr nachdenklich. Deren ganze Ehe hing nur an diesem
einen seidenen Faden. Seine Frau suchte ihr Leben lang nach ihren Eltern, hatte
diverse Therapien und einen längeren stationären Aufenthalt in einem Sanatorium
hinter sich. Ihr Mann erzählte mir von zig verschiedenen Reisen im gesamten Bundesgebiet,
von Recherchen in Kirchenbüchern und Standesämtern. Sie war besessen davon, herauszufinden,
wer ihre Eltern waren.«
»Und? Was
haben sie herausgefunden?«, drängte Martin, und mit Entsetzen stellte er fest, dass
es nicht mehr lange dauern könne, bis sein Akku leer wäre.
»Hör zu.
Ich kann dir nicht alles am Telefon erzählen, aber eines scheint bedeutsam zu sein.
Ursula Seifert hat vor ein paar Monaten einen anonymen Anruf bekommen. Man hat ihr
gesagt, wenn sie nicht damit aufhöre, in der Vergangenheit herumzustochern, würde
sie das nicht überleben. Die beiden hielten das für einen schlechten Scherz, wollten
damit zur Polizei, doch schließlich haben sie einfach weitergemacht. Sie haben sich
gedacht, dass, wenn jemand sie daran hindern will, die Wahrheit herauszufinden,
sie es wert sein müsste, herausgefunden zu werden.«
»Okay, lass
uns in Hamburg darüber reden. Was gab es heute sonst noch?«
»Lorenz
geht’s schlechter. Er hat nach dir gefragt.« Pohlmann biss sich auf die Unterlippe.
Lorenz. Den hatte er tatsächlich ganz vergessen.
»Wieso?
Was ist mit ihm? Wieso hat
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