Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
unverändert unordentlich, und niemand erwartete ihn. Es gab
keinen Sekt, kein Willkommens-Trärä, nichts. Martin wunderte sich nur.
Lorenz kramte
in einer Schublade herum, als Hartleib das Büro betrat. Er begrüßte ihn nüchtern.
Martin kam die Situation grotesk vor. Irgendetwas stimmte hier nicht, nichts war,
wie es eigentlich hätte sein sollen oder wie man es normalerweise erwartet hätte.
Dann fand Lorenz, wonach er gesucht hatte, und stammelte verlegen: »Hören Sie, Pohlmann.
Tut mir echt leid, dass ich Sie dermaßen überfallen muss, aber ich habe hier einen
kleinen, na, nennen wir es mal Wiedereinstiegsfall , der Ihre alten Instinkte
zum Erwachen bringen soll.« Lorenz überreichte Pohlmann eine dünne Akte und legte
den Kopf schief. Er kratzte sich im Nacken. Man merkte ihm mühelos an, dass es ihm
unangenehm war. »Das Problem ist, es eilt leider.«
Pohlmann
schlug die Akte auf, und der Stempel eines bestimmten Krankenhauses erregte seine
Aufmerksamkeit. »Was ist das denn?« Er sah abwechselnd in die Gesichter seiner Gegenüber.
Pohlmann
deutete auf den Stempel und das Dokument, das versiegelt war. »Es ist nicht das,
was ich vermute, oder? Es geht nicht wirklich um einen Insassen im Landeskrankenhaus?
Das ist jetzt nicht Ihr Ernst?« Martins Stimme wirkte brüchig. »Ich komme gerade
aus Ecuador. So schlimm war es da drüben nun auch wieder nicht.«
Lorenz wiegelte
ab. »Nein, es geht nicht nur um einen Insassen, sondern leider auch um den Tod jenes
Psychiaters, bei dem Sie damals Ihre Therapie begonnen hatten.«
Pohlmann
wandte sich ab und kramte längst verdrängte Erinnerungen wieder hervor. »Professor
Keller ist tot?«, fragte er leise.
Lorenz nickte
und legte die Stirn in Falten. »Verdacht auf Selbstmord. Vor vier Tagen. Kurz bevor
Sie mich aus Ecuador angerufen haben. Hat sich in den Kopf geschossen.« Lorenz rieb
sich die Hände. Jetzt, nachdem er Pohlmann gegenüberstand, mit ihm sprach, sich
an frühere Zeiten erinnerte, wusste er, dass es die richtige Entscheidung gewesen
war, diesen Fall nur ihm übertragen zu können. Er schien als Einziger in Frage zu
kommen, weil er den Professor so gut kannte wie kein anderer im Präsidium. Außerdem
traute Lorenz Schöller es ganz und gar nicht zu, in kurzer Zeit Ermittlungsergebnisse
zu präsentieren, mit denen die Presse etwas anfangen konnte. Doch selbst wenn Lorenz
überzeugt war, Pohlmann war es noch lange nicht. Hinzu kam, dass Lorenz einen lausigen
Diplomaten abgab und dafür bekannt war, nicht lange drum herum zu reden, sondern
einfach die Dinge beim Namen zu nennen. Dass er sich damit nicht immer Freunde schuf,
war klar.
»Na, was
für ein Zufall!«, blaffte Pohlmann Lorenz an. Hätte ich bloß nicht angerufen,schoss es ihm durch den Kopf.
Lorenz bemühte
sich, Pohlmann zu beschwichtigen. »Aber darum geht es heute noch gar nicht. In erster
Linie sollen Sie nur ein Buch abholen. Mehr nicht. Ist ganz schnell erledigt. Dauert
fünf Minuten.«
Pohlmann
sah an sich herab. »So? Ich muss dringend Klamotten kaufen und mich um meine Wohnung
kümmern.«
»Na ja,
zugegeben. Bisschen eigenwillig, Ihre Garderobe, aber ich denke, für heute wird’s
gehen. Ist ja nicht zu ändern.«
»Und warum
kann Werner das Buch nicht holen?«
»Kollege
Hartleib hat heute keine Zeit. Auf seinem Schreibtisch türmen sich andere Fälle.«
Pohlmann
warf Lorenz und Hartleib einen verärgerten Blick zu.
»Bringen
Sie einfach das Tagebuch einer Frau Braun mit. Sie bezichtigt darin Professor Keller
eines Mordes.« Lorenz wurde ernst und wollte seine Position als Chef festigen. »Ist
doch klar, dass wir uns als Mordkommission darum kümmern müssen. So, das genügt
für heute. Den Rest erkläre ich Ihnen morgen.«
»Was ist
bloß so wichtig an diesem verdammten Buch?«
Lorenz blieb
ungerührt, froh, den Fall endlich los zu sein.
»Sie sind
schon angemeldet, Martin.« Dann fügte er einige Erklärungen hinzu, so als solle
es wie eine Entschuldigung klingen. Doch wenn er Pohlmann richtig einschätzte, würde
dieser sich erst dann zufriedengeben und den Auftrag ausführen, wenn sein Gehirn
mehr Informationen hätte. Lorenz strich sich den ergrauten Kinnbart glatt.
»Na gut,
ich erklär es Ihnen. Also, es geht um Folgendes: Sie erinnern sich doch an die Geschichte
von damals, diesen Prozess einiger Lebensborn-Zöglinge gegen den Staat Deutschland.«
Lorenz lachte gekünstelt auf. »Einen Prozess gegen den Staat zu führen, wo doch
jeder weiß, dass das gar
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