Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
falsches
Wort und sie würde, wie es Dr. Schillig genannt hatte, einen Anfall bekommen, wie
auch immer der aussehen würde. Anfall im Sinne von Epilepsie oder eher Anfall wie
bei einer hysterischen Zick e ? Varianten der zweiten Kategorie waren Martin
nicht neu. Er hatte sie in dem letzten Jahr bei seiner Freundin in Ecuador des Öfteren
in ihrer umfangreichen Variabilität studieren dürfen. In beiden Fällen würde er
keinen Rat wissen.
»Wir sind
hier, weil …, weil ich mich mit Ihnen unterhalten möchte. Ich hätte da noch ein
paar Fragen.«
»Das hätten
wir doch auch zu Hause machen können.« Martin stülpte die Lippen. Nein, blöd war
sie nicht, das hatte sie ihm schon mehrfach bewiesen. Aber ihr unverblümt die Wahrheit
sagen? Ohne psychologische Kenntnisse bezüglich eventueller Reaktionen? Martin griff
an seine Hosentasche und ertastete das Handy.
»Okay, das
stimmt. Das hätte ich. Die Sache ist die …«
In dem Moment,
als Martin Luft holte, die Hände auf den Schenkeln rieb und loslegen wollte, trat
der Kellner mit zwei Suppentellern an den Tisch. »So, bitte. Die Vorspeise.«
Martin blickte
verwirrt in die grüne Pfütze einer sämig-steifen Masse.
»Guten Appetit«,
ergänzte der Kellner und gab sich keinerlei Mühe, die abgrundtiefe Langeweile zu
verleugnen, die er empfand. In einer Stunde würde er sich ins Bett legen können,
um gegen 18 Uhr erneut auf der Matte zu stehen.
Emilie umfasste
den Löffel ungelenk mit der ganzen Hand, beugte sich vor und schlürfte in kurzer
Zeit den Teller leer. Den Löffel legte sie neben den Teller und nicht darauf. Martin
probierte die Suppe, verzog das Gesicht und schob sie sogleich von sich fort. Er
hätte sich nicht als übermäßig anspruchsvoll bezeichnet, doch dieses glibbernde
Etwas vom Vortag war für seinen Gaumen definitiv ungenießbar. Derweil wartete Emilie
noch auf eine Antwort.
»Also, es
ist so«, begann er zögernd und wischte sich mit der Serviette die letzten Reste
der Suppe von den Lippen. »Wir konnten keinen Beamten für Sie freistellen.« Emilie
neigte den Kopf in den Nacken, während sie ihn nicht aus den Augen ließ. Es schien
ihr fast Vergnügen zu bereiten, den Kommissar stammeln zu sehen.
»Sie müssen
mich beschützen«, kam sie Martin zur Hilfe. Erleichtert blickte er zu ihr hinüber
und war überrascht, wie emotionslos sie genau diese Tatsache empfand. Viele Menschen,
die in einem Zeugenschutzprogramm untergebracht wurden, reagierten panisch, wenn
man ihnen mitteilte, dass sie durch ihre belastende Aussage zur Zielscheibe geworden
waren. Jeder normale Mensch bekam Angst – er hing mit jeder Faser an seinem Leben.
Nicht so Emilie. Ob sie lebte oder starb, war ihr gleichgültig.
»Ich möchte Sie beschützen«, korrigierte Martin ihre Aussage. Nun, wo der Kern seiner unüberlegten
Aktion ausgesprochen war und sein Gegenüber sachlich und fern jeder Anfälle darüber
sprach, wagte er sich einen kleinen Schritt weiter. »Es gibt möglicherweise jemanden,
der Ihnen nach dem Leben trachtet – das stimmt. Ich weiß aber noch nicht, wer es
ist.«
»Hat er
Hans getötet?«
Martin zuckte
mit den Schultern und blickte in Emilies feuchte Augen.
»Kann sein,
ja. Es deutet alles darauf hin, dass sich Hans Keller nicht selbst das Leben genommen
hat.«
»Das alles
wegen dem Prozess?«
Martin nickte.
»Auch. Ja. Vor allem aber wegen dem, was Professor Keller über die damaligen Kläger
herausgefunden hatte.«
»Was hat
er denn rausgefunden?«
»Na ja.
Meines Wissens suchten alle diese Leute nach ihren Vätern und Müttern und dabei
fand man zwei Namen von Männern, die heute noch leben und nicht gerade als nette
Menschen zu bezeichnen sind.«
»Haben diese
Männer Hans getötet?«
»Das weiß
ich noch nicht genau, es wäre möglich. Ich denke nicht, dass sie es selbst getan
haben. Dafür sind sie schon zu alt.«
Eine Pause
entstand, in der Emilie angestrengt nachdachte. Väter, die ihre Kinder töten – wie
sollte man so etwas bewerten? Martin überlegte, wie weit er Emilie in Ermittlungsergebnisse
einweihen durfte. Und doch musste er eine ganz bestimmte Frage loswerden.
»Haben Sie
Lars Dräger gestern gesehen?«
Emilie blickte
in die Ecke des Raumes. »Ja. Gestern.«
»Wann genau?
Und wann zuletzt?«
»Gestern,
den ganzen Tag. Abends bis neun.«
»Er ist
also um neun gegangen?«
Emilie nickte.
»Er geht immer um neun.«
Martin rechnete
die Stunde nach, in der Rohdenstock umgebracht wurde, und die Zeit, die
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