Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
hatte. Ein viel zu schneller und schmerzloser Tod. Dräger freute
sich auf eine besondere Kunstform. Die Kunst, jemanden so lange zu quälen, bis dieser
den Tod herbeisehnte. Eine Technik, die für jedermann im Internet nachzulesen und
schon vielen Künstlern seiner Art weltweit zweckdienlich gewesen war. Eine Community
der besonders kranken Art, mit der er regen Kontakt pflegte.
*
Das schallisolierte Verlies, in
dem Dräger den Kommissar, den Expriester und Emilie Braun eingepfercht hatte, war
nicht größer als zwölf Quadratmeter. Nachdem Feldmann bei vollem Bewusstsein war,
empfand er als Erstes den pochenden Schmerz an der Schläfe mit voller Wucht. Vorsichtig
fasste er mit zittriger Hand an die Stelle, aus der noch warmes, klebriges Blut
floss. Die Berührung der Wunde ließ ihn ein Stöhnen und erstaunlicherweise einen
obszönen Fluch ausstoßen. Er, der Mann Gottes, fluchte und schimpfte über die Machenschaften
des Teufels und über Menschen wie Lars Dräger, die seiner Ansicht nach zu dessen
Werkzeug geworden waren.
Feldmann
versuchte, sich aus seiner misslichen Lage aufzurichten, und sah sich in der Dunkelheit
um. Seine Augen gewöhnten sich mühsam an die Umrisse der Zelle, da das Licht, welches
unterhalb des Türblattes hindurchschien, den Raum nur unzureichend beleuchtete.
Neben ihm
hockte zusammengesunken der Kommissar, dessen Kopf schlaff auf der Brust ruhte.
Die langen Haare klebten an der Wange. Feldmann verengte die Augen und nahm bei
Martin eine klaffende Wunde neben dem Kinn wahr, die ihm, kurz bevor Dräger gegangen
war, zugefügt worden war. Eine Vorsichtsmaßnahme gegen unbedachte Rebellion, wie
Dräger es genannt hatte.
Emilie Braun
hockte auf dem Betonboden, direkt zu seinen Füßen, und hatte die Arme um die angezogenen
Beine geschlungen. Ihr Körper zitterte unkontrolliert, weniger aus Angst, sondern
wegen der niedrigen Temperatur in diesem Kellerloch, obwohl sie die Jacke hatte
mitnehmen dürfen. Feldmann wandte sich wieder Martin zu und rüttelte vorsichtig
an seiner Schulter. Doch der blieb unbeweglich neben ihm sitzen. Die Bewusstlosigkeit
wollte sich nicht vertreiben lassen. Er sah sich in dem Raum um. Das Mobiliar bestand
aus zwei billigen Pritschen, bestehend aus dünnen Matratzen über einem Drahtgeflecht,
das bei jeder Bewegung fürchterlich quietschte. Sie waren in einem rechten Winkel
zueinander an den Wänden aufgestellt. Feldmann gegenüber hing ein mattes, mit braunen
Flecken übersätes Waschbecken aus Keramik, das so alt wie das Haus selbst wirkte.
Der Spiegel darüber fehlte. Nur die Halterungen waren noch da. Neben dem Waschbecken
stand ein leerer, verbeulter Metalleimer, dessen Henkel sonderbar verbogen war.
Ansonsten gab es keine Toilette, keinen Stuhl, keinen Kleiderschrank und keinen
Teppich. Selbst ein eingefleischter Asket hätte diese trostlose Behausung nicht
akzeptiert. Nicht einmal Insassen in einem Hochsicherheitsgefängnis hätten dies
getan, außer in Sibirien, dem Irak oder an anderen Orten dieser Welt, an denen die
Menschenwürde mit Füßen getreten wurde.
Feldmann
erinnerte sich. Dräger war, nachdem er seine Gefangenen in diesem Loch abgeliefert
hatte, sofort verschwunden und hatte die Tür von außen verschlossen. Auch hatte
er kein Wort zu ihnen gesagt, sich stattdessen in einer Flut gemurmelter Selbstgespräche
ergossen. Innerhalb der Zelle hörte man jemanden in einem Nebenraum Tätigkeiten
verrichten, die an das Aufräumen oder Sortieren von Werkzeugen in einer Garage oder
Werkstatt erinnerten. Metallgegenstände wurden zusammengesammelt, irgendwo wieder
abgelegt. Etwas wurde an die Wand gehängt, und dann hörte es sich so an, als schiebe
derjenige einen schweren Schrank oder eine Kommode über den Betonboden. Plötzlich
verstummten die Geräusche, und ein langgezogenes, an Schadenfreude erinnerndes Lachen
ging Feldmann durch Mark und Bein.
Das Lachen
erstarb, und Totenstille erfüllte die Dunkelheit.
Feldmann
war froh, dass das Licht nebenan angelassen worden war. Und doch reichte dieser
Umstand nicht aus, die Angst, die den kargen Raum wie dichter Rauch bis unter die
Decke füllte, zu vertreiben.
Sein Blick
fiel zu der Gestalt, die zu seinen Füßen hockte.
»Bitte,
Emilie. Setzen Sie sich auf das Bett. Der Boden ist doch viel zu kalt.« Er beugte
sich vor, um sie an der Schulter zu berühren oder ihr, unter ihre Arme greifend,
aus der Hocke zu helfen. In dem Moment, als er sie berührte, stieß sie einen kurzen
Schrei aus, der
Weitere Kostenlose Bücher