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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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schien. Er hörte, wie Feldmann zu schluchzen begann. Dies war die Nachhut
all der Tränen, die der Priester vergossen hatte, als Martins Bewusstsein in einem
undurchdringlichen Nebel eingetaucht war. Er versuchte, sich zu Feldmann umzudrehen,
verzog schmerzverzerrt das Gesicht und legte seinem Nachbarn die Hand auf die Schulter.
Martin taugte noch nie zu einem ordentlichen Seelsorger. Es fiel ihm schwer, Mitgefühl
zum Ausdruck zu bringen. Seine Verlobte hatte einmal gesagt, er sei kalt wie eine
Hundeschnauze. Er wusste, dass dies nicht zutraf. Obwohl er es nie wollte, war er,
zumindest in diesem Punkt, geworden wie sein Vater: unfähig, über Gefühle zu sprechen
oder sie angemessen zum Ausdruck zu bringen. Er wusste auch von seinen Freunden,
dass das Sich-Mitteilen nicht gerade eine Männerdomäne war, und er hatte nie gelernt,
diese Art der Konversation zu kultivieren. Hier in der Zelle erschien es ihm leichter,
den zu trösten, den er vor genau dieser Situation hatte beschützen wollen. Unter
Umständen war es das schlechte Gewissen, das ihn trieb, oder ein halbherziger Versuch,
Angerichtetes gutzumachen. Er wusste, dass er mit einer Geste des Trostes nicht
viel bewirken konnte, aber im Moment war es das Einzige, was er zur Verfügung hatte.
Ihm war klar, dass er sich zusammenreißen und Herr der Lage werden musste. Sowie
der Schmerz in seinem Bewusstsein nicht mehr als pochend und nervtötend empfunden
wurde, erwachte der Bulle in ihm zu neuem Leben.
    Er war der
Ansicht, dass nur er die Situation geradebiegen könnte. Dass Sieg oder Niederlage
von ihm entschieden werden müssten. Er empfand, dass er gegenüber Feldmann und Emilie
in der Schuld stand. Ein anderer Beamter hätte garantiert die Sache besser und souveräner
im Griff gehabt und sich nicht so unprofessionell überrumpeln lassen.
     
    Dass er nicht das Geringste an Feldmanns,
Emilies und seiner Situation würde ändern können, wurde ihm klar, als Dräger den
Schlüssel im Schloss herumdrehte, in der Tür erschien und in seiner Hand einen Gegenstand
hielt, der ihn erneut hätte erbrechen lassen, wäre noch ein Rest in seinem Magen
verblieben.

Kapitel 52
     
    Scharmbeck, 12. November 2010
     
    Hätte jemand Martin Pohlmann einen
Monat zuvor erzählt, dass er sich mit zwei anderen Gefangenen in der Gewalt eines
Serienkillers und Psychopathen befinden würde, er hätte ihm natürlich nicht geglaubt.
Und wenn doch, hätte er sein Flugticket von Ecuador nach Deutschland zerrissen.
Zu wissen, man würde gefangen genommen, misshandelt, gefoltert und anschließend
getötet – in das absolute Extrem eines Konfliktes willigte kein normaler Mensch
freiwillig ein.
    Pohlmann
richtete sich auf der Pritsche auf und sah in die verzweifelten Gesichter von Alois
Feldmann und Emilie Braun. Der Geistliche und die Verwirrte, der Mann Gottes und
die Vergessene, der Glaubensheld und die Todesliebende. Beide hatten im Angesicht
des ihnen gegenüberstehenden kräftigen Mannes dieselben Tränen in den Augen, dieselbe
Panik im Hirn und dieselbe düstere Aussicht auf ein baldiges Ende ihres Lebens.
    Das Verlies
war in ein fahles Halbdunkel getaucht, während Lars Dräger den schmalen Türrahmen
mit seiner Statur ausfüllte. Das Licht des Nebenraumes brach sich an ihm und warf
eine Vielzahl gestreuter Strahlen an ihm vorbei. Sie trafen die bleichen, angsterfüllten
Gesichter der Gefangenen. Es wurde von den tränenüberströmten Wangen Emilies reflektiert
wie von einer Spiegelfläche. Dräger hielt in der rechten Hand die Polizeiwaffe des
Kommissars und in der linken ein Gerät, das wie ein übergroßer Nussknacker aussah.
Die Hand, die es umfasste, öffnete und schloss sich rhythmisch und verursachte ein
metallisches Klackern. Es trieb den dreien eine Gänsehaut über den Körper, und alle
starrten auf diese Apparatur, die unsägliche Pein verhieß. Schmerzen, die garantiert
keiner von ihnen im Leben zuvor erlebt hatte. In Zeiten moderner Anästhesie, wo
jeder zu operierende Patient in einen seligen Schlummer geschickt oder der leichteste
Anflug von Kopfschmerz mit einer Thomapyrin-Tablette zum Teufel gejagt wurde. Der
Begriff ›körperlicher Schmerz‹ hatte für die meisten Menschen keine wirkliche Bedeutung
mehr.
    Lars Dräger
beschloss, er solle sich wieder mit Inhalt füllen, eine neue, sich in den Köpfen
der Gefangenen einbrennende Bedeutung erhalten.
    Eine Weile
stand Dräger da und ließ das Klackern seines aus dem Mittelalter stammenden Folterwerkzeugs
den Raum

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