Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
der Welt erblickte. Jeder Chirurg hatte sein Werk mit entsprechenden
Nähten und Verbänden abgeschlossen, um den prominenten Patienten optimal zu versorgen.
Ein zusätzlicher Bericht des Radiologen über zwei angebrochene, nicht operationsbedürftige
Rippen lag den Befundberichten ebenfalls bei. Der rechte Arm steckte in einer Schlinge,
die Hand bis zum Unterarm im Gips, und die linke Gesichtshälfte war zugeschwollen.
Immerhin konnte er mit dem rechten Auge noch blinzeln. Morphinähnliche Medikamente
flossen durch seine Venen und vermittelten dem zerschundenen Polizisten ein angenehmes
Hochgefühl.
»Guten Morgen,
Herr Pohlmann«, grüßte die Schwester in einem aufmunternden Singsang und schaltete
das Licht im Krankenzimmer 27 B der Uniklinik an. Zielstrebig ging sie zum Fenster
und öffnete es auf Kippe. Draußen war es noch stockdunkel, man sah die Schneeflocken
durch das Licht der Außenbeleuchtung hindurchfegen. Martin fröstelte, als er in
das tiefe Schwarz des angebrochenen Tages blickte. Ein grimmiges Brummen erwiderte
die freundliche Begrüßung der Schwester. Von Berichten im Fernsehen wusste er nichts.
Nichts von seiner Popularität, die ihm erneut den Titel ›Bester Bulle des Nordens‹
eingebracht hatte. Nachdem Pohlmann Werner und Klaus Schöller die Akten aus dem
Haus von Dräger überreicht hatte, war er in ein tiefes Loch gefallen. Der Krankenwagen,
den er für Dräger bestellt hatte, brachte Martin auf schnellstem Weg ins Krankenhaus,
wo nach einer Computertomografie des gesamten Oberkörpers die Operationen eingeleitet
wurden. Das gebräuchliche Propofol ließ ihn selig schlummern, während Lars Dräger
in einem Alusarg die letzte Reise in die Gerichtsmedizin antrat. Kurz nachdem Klaus
Schöller die Stufen zum Untergeschoss hinuntergeeilt war und sich beim Anblick von
Drägers Wunden und seinem Gruselkabinett vor dessen Füßen erbrochen hatte, fiel
Drägers Kopf schlaff auf die Seite. Das linke, noch intakte Auge war in stummem
Entsetzen aufgerissen, als hätte er vor seinem Tod in das finstere Antlitz dessen
geblickt, der ihn in seinem Reich willkommen hieß. Die Instrumente, Haken und Zangen
sowie die bluttriefenden Dornen der Eisernen Jungfrau ließen Schöllers Gesichtsfarbe
in ein mattes Grau wechseln.
Ohne sich
den Raum, in dem Martin, Feldmann und Emilie eingesperrt waren, genauer anzusehen,
hatte er die Flucht ins Freie angetreten und sich vor der Haustür ein weiteres Mal
übergeben. Sollten doch die Spurensicherung und die Mediziner die Drecksarbeit erledigen.
Diese Arbeit war nicht sein Metier, und er freute sich auf ein baldiges Zurückkehren
an seinen Schreibtisch.
Die Stationsschwester
blickte auf die Uhr und nahm die Fernbedienung des TV-Gerätes in die Hand. Sie hielt
sie in Richtung des Sensors und drückte den grünen Knopf.
»Das dürfte
Sie interessieren, Herr Kommissar. Ist derselbe Bericht wie vor einer halben Stunde
und gestern Abend, aber Sie haben ja alles verschlafen bisher.«
Martin hob
die nicht verbundene Augenbraue. Seit seinem Kurzkoma und einem kurzen Aufwachen
nach der Narkose war er in einen 14-stündigen Schlaf gefallen, sodass jeder auf
der Station den Eindruck gewann, der tapfere Staatsdiener hätte diesbezüglich einiges
nachzuholen. Je eher man wieder ins Leben zurückfindet, desto besser – so die Parole
der 62-jährigen Stationsschwester, die einen feinen Oberlippenbart ihr Eigen nennen
durfte.
Sie zappte
durch die Kanäle und entschied sich für das ZDF, wo der Bericht am ausführlichsten
ausgefallen war. Nicht ohne Stolz auf ihren prominenten Patienten, hatte sie ihn
schon zwei Mal gesehen, doch dass sie Martin für seinen Mut bewunderte, hätte sie
ihm nie gestanden.
Die Schwester
überreichte ihrem Schützling die Fernbedienung. Martin rieb sich die Schlafkrusten
aus dem Auge und kniff es halb zu, um schärfer sehen zu können. Er starrte auf sein
eigenes Konterfei in der rechten unteren Ecke des Monitors. In der nächsten Szene
stand eine junge, attraktive Dame fröstelnd vor Drägers Haus, hielt ein Mikro in
der Hand und blickte in die Kamera:
In einer
beispielhaften Polizeiaktion war es am Sonntagmittag Hauptkommissar Martin Pohlmann
von der SOKO Hamburg-Mitte gelungen, den bereits seit Wochen in Hamburg und Umgebung
fieberhaft gesuchten Serienmörder Lars Dräger dingfest zu machen. Dräger hatte sich
in dem Keller seines Hauses verschanzt und den Kommissar, einen Pastor im Ruhestand
und eine weitere Dame, die namentlich nicht genannt
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