Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
wirtschaftlich auch eine Kinderfrau drin. Nach dem frühen Tod meiner Frau wäre es ohne Kinderfrau nicht gegangen. Delia war damals erst zehn Jahre alt. Grausam für das Kind und grausam für mich. Das Leben schlägt manchmal bittere Kerben. Aber man muss immer wissen, wohin man will. Zielstrebigkeit ist das Wichtigste im Leben.«
Marie verstand. Trost hatte ihren versteckten Seitenhieb registriert und parierte mit Worten, die trotz ihrer Freundlichkeit ihre Schärfe nicht verbergen konnten. Sie ahnte, dass er vor Gericht ein gefährlicher Gegner sein konnte.
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Stephans anfängliche Euphorie, mit dem zu hinterfragenden Standort von Gossmanns Staffelei einen Ansatz gefunden zu haben, der die seinerzeit von der Staatsanwaltschaft präsentierte Beweiskette erschüttern könnte, verflog, als er gemeinsam mit Marie die Sache nochmals durchdachte. Bei näherer Betrachtung tangierte der Standort der Staffelei tatsächlich nicht das eigentliche Tatgeschehen. Es schwand auch die Hoffnung, nach rund vier Jahren bisher unbekannte Zeugen zu finden, die zum Tatgeschehen etwas hätten aussagen können. Stephan entnahm den umfangreichen, säuberlich in Klarsichthüllen geordneten Anlagen zur eigentlichen Akte, dass zur Tatzeit ein von der Stadt bereits im Mai des Tatjahres angekündigter Malwettbewerb zum Thema ›Die Heimat in Öl‹ stattgefunden hatte und neben Gossmann, der offensichtlich an diesem Wettbewerb teilgenommen hatte, bevorzugt in den Grünanlagen und an anderen exponierten Stellen der Stadt viele Hobbymaler ihre Gerätschaften aufgestellt und die sich bietenden Motive gemalt hatten. Dies ergab sich aus einem damaligen Zeitungsartikel, der über den Mord an Gossmann berichtete und seine Malerei in diesen Zusammenhang stellte. Also war es unrealistisch, Zeugen zu finden, die sich jetzt noch ausgerechnet an Gossmann und seine Malerei im Rombergpark erinnern würden.
Auch die spontanen Nachforschungen zur Person des Rudolf Gossmann führten nicht weiter. Eine frühere Nachbarin des Rentners, eine alleinstehende ältere Dame um die 80 Jahre, die Marie und Stephan am folgenden Wochenende aufsuchten, wusste nur zu berichten, dass Rudolf Gossmann stets ein sehr zuverlässiger, geradezu pedantischer Mann gewesen sei, der seine einem Finanzbeamten dienlichen Charaktereigenschaften nach dem Eintritt in den Ruhestand augenscheinlich weiter ausgefeilt hatte. Gossmann achtete peinlich genau auf die Einhaltung der Hausordnung, rügte alle Verstöße sofort gegenüber der Vermieterin und achtete wie ein Luchs darauf, dass die hinter dem Haus gelegene Garagenanlage nicht durch Graffiti verunstaltet wurde. Rudolf Gossmann mochte spießig und kleinlich gewesen sein, urteilte die Nachbarin, aber nicht unangenehm, sondern stets hilfsbereit.
Wir, die wir hier wohnen, müssen zusammenhalten, hätte er immer gesagt. Die Nachbarin wusste auch von Gossmanns Leidenschaft für die Malerei. Er habe schon seit Jahren gemalt, erinnerte sie sich, bevorzugt Berglandschaften mit Seen und Wäldern. Die Bilder hätten immer etwas barock ausgesehen. Nach seinem Tod seien die Bilder an seine Tochter gegangen, die irgendwo nach Süddeutschland verzogen sei und nach ihrer Heirat einen Namen trage, den sie nicht kenne.
»Einziger Fehler des Herrn Gossmann war, an jenem Augusttag zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein und Zeuge einer Tat dieses Schweins zu werden«, rekapitulierte sie ihr Zeitungswissen.
Die Nachbarin blitzte mit den Augen und Marie und Stephan verzichteten darauf, sich auf die anbahnende Diskussion einzulassen. Tatsächlich galt Maxim Wendel landläufig als Schwein. Die Zeitungsartikel, die sich während der Dauer des Strafprozesses regional und überregional in oft langen Artikeln mit dem Fall und seinen Hintergründen befassten, schlugen heftig auf Wendel ein. Es gab nichts, was für ihn sprach oder seine Tat verständlich gemacht hätte, außer seiner Angst, von Gossmann der versuchten Vergewaltigung überführt zu werden. Der arme Rentner und der perverse einschlägig bekannte Lehrer waren die zentralen Figuren, über die die Boulevardpresse mit markigen Worten berichtet hatte. Selten waren Opfer- und Täterrolle so klar verteilt. Demgegenüber waren die Artikel in Bezug auf Michelle Crouchford eigentümlich zurückhaltend. Sie galt – wie Gossmann – zweifellos als Opfer des triebhaften Maxim Wendel, doch hatte sie nach der Tat die Öffentlichkeit gescheut und sich den zahlreichen Interviewanfragen regelmäßig
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