Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
zurückziehen, wo man niemanden trifft. Du brauchst keine Angst zu haben, Stephan. Vertraue mir bitte, auch wenn ich dir mit diesem Wunsch etwas abfordere, was im Moment über deine Kräfte zu gehen scheint.«
Stephan schauderte. Er betrachtete wieder den ihm fremden Namen auf dem Papier, faltete das Blatt und sah, dass es auf der Rückseite beschrieben war.
»Brauchst du das Papier nicht mehr?«, fragte Stephan. »Es steht was drauf.«
»Nein, nein. Du kannst es haben. Es sind die Themen der Vorträge, die die aufgenommenen Mitglieder der ›Zehn‹ dort einmal gehalten haben. Ich wollte dir die Liste ohnehin einmal geben. Sie ist jetzt nicht wichtig.«
Trost verabschiedete sich von Stephan. Er tat es mit festem Händedruck, doch ohne Stephan anzuschauen. Dann setzte er sich in sein Auto und fuhr langsam davon.
24
Am frühen Donnerstagmorgen stellte Stephan seinen Wagen in einem Parkhaus am Düsseldorfer Flughafen ab. Trost hatte darum gebeten, dass Stephan den Transfer zum Flughafen übernehmen solle, weil er seinen eigenen Wagen während dieser Zeit seinem Autohändler zur Inspektion überlassen wollte. Trost stieg aus, klopfte lächelnd auf das Wagendach und merkte zwinkernd an, dass die Tage dieses alten Gefährts gezählt seien und Stephan sich schon mal nach einem neuen Fahrzeug umschauen solle. Es schien, als ließe Trost keine Gelegenheit aus, Stephan auf den wirtschaftlichen Aufstieg einzuschwören, der sich leuchtend am Horizont auftäte, wenn Stephan erst einmal in Trosts Kanzlei eingestiegen sein würde.
Noch am heutigen Tag wollte Trost mit Stephan die Chamanna Jenatsch, der rätoromanische Begriff für Jenatsch-Hütte, erreichen. Trosts bisher einzige und wiederkehrende Auskunft hierzu war, dass sie nach dem Flug von Düsseldorf nach Zürich den Zug nach Chur, dort in die Schmalspurbahn nach St. Moritz umsteigen und den Zug in Spinas, gelegen im Oberengadin, verlassen würden. Dort beginne der knapp sechsstündige Aufstieg zur Hütte, die sie gegen 19 Uhr erreichen wollten. Trost hatte Stephan diese Informationen in der sicheren Erwartung erteilt, dass sich Stephan gemeinsam mit Marie über die Hütte und die Reise dorthin informieren werde, und fast schien es, als habe er mit Maries Anruf gerechnet, die sich auf Stephans Handy meldete, als sie bereits im Zug der Rhätischen Bahn saßen und das Handy an Trost weiterreichen ließ.
»In der Hütte übernachten laut Internet heute zwölf Personen«, sagte Marie. »Die Hütte ist also nicht menschenleer. Ohnehin sind dort der Hüttenwirt und seine Frau vor Ort.«
»Ich weiß«, sagte Trost in einem Tonfall, der signalisierte, dass Marie genau die Feststellungen getroffen hatte, die sie nach Trosts Erwartung auch treffen sollte. »Zwei dieser Gäste sind wir«, sagte er. »Haben Sie ernstlich befürchtet, dass ich Ihren Stephan an einen Ort locken möchte, wo keine Menschenseele ist und uns auch keine Menschenseele findet?«
Er vermied den Begriff der Falle, doch er spürte, dass Marie ihn richtig verstanden hatte.
»Es ist mir wohler, wenn ich Stephan in Gesellschaft weiß«, gestand sie freimütig. »Die Hütte hat auch Telefon«, ergänzte sie. »Allerdings hat man mit dem Handy dort keinen Empfang. Ich habe mir die Internetseite der Hütte angesehen.«
»Das haben Sie gut recherchiert«, lobte Trost. »Doch Sie müssen sich deswegen keine Sorgen machen.«
»Stephan hat mir versprochen, dass Sie sich mit ihm nicht so weit von der Hütte entfernen. Vielleicht suchen Sie sich für die Gespräche einen Ort in Sichtweite der Hütte. Stephan ist ohnehin kein Bergwanderer. Der Aufstieg ist für ihn anstrengend genug. Er ist so etwas nicht gewohnt. Das sollten Sie berücksichtigen, Herr Dr. Trost.«
»Selbstverständlich, Frau Schwarz. Und ich darf sagen, dass ich Sie voll und ganz verstanden habe. Seien Sie versichert: Wir werden über die Zukunft reden und nicht über das Ende. Ich denke, Ihr Freund hat das verstanden, und ich weiß, dass Sie mich am Ende ebenso verstehen werden.«
»Ich wollte nur sagen, dass ich über alles im Bilde bin«, setzte Marie nach. »Auch über alles, was den Fall Maxim Wendel betrifft.«
»Das sollten Sie auch«, betonte Trost. »Stephan wird Ihnen sicher gesagt haben, dass ich ihn immer wieder gebeten habe, alles mit Ihnen zu besprechen. Ich hoffe, dass er sich daran gehalten hat.«
Trost sah aus dem Zugfenster. Der Zug hatte das Oberrheintal bei Thusis verlassen und begann in zahlreichen Kurven den Aufstieg ins
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