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Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin

Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin

Titel: Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Cunningham
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war nur Schwärze um sie herum, dann erhaschte sie ein silbernes Glitzern und eine rhythmische, beruhigende Berührung. »Jemand bürstet mein Haar«, murmelte sie. »Mutter?«
    »Bleib, wo du bist. Sorge für Ruhe in deinem Geist und stell dir vor, du hast soeben einen dunklen Raum betreten und wartest darauf, daß sich deine Augen an die Finsternis gewöhnen.«
    Sie nickte und saß einen Moment lang still da. Auf ihrem Gesicht lag der Ausdruck völliger Konzentration. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nichts«, sagte sie traurig.
    »Wir werden es später noch einmal versuchen«, sagte Matteo und legte beruhigend eine Hand auf Tzigones Schulter. »Die Erinnerung ist ein Palast, der mit Geduld errichtet wurde. Man kann ihn nicht hastig bauen oder erkunden.«
    »Nicht später«, sagte sie grimmig. »Jetzt.« Sie schloß die Augen und verbannte jeden anderen Gedanken. Als ihr Geist endlich zur Ruhe gekommen war, fand sie den Ort, an dem die Erinnerungen an den Feengeist ihren Ursprung hatten, und begab sich weiter vor in die Tiefen ihres Geistes.
    Der sanfte Rhythmus der Bürste sog sie zurück in die Erinnerung, doch aus irgendeinem Grund war die Bewegung nicht angenehm. Tzigone fühlte die Anspannung ihrer Mutter, als sei es ihre eigene.
    Ihre Mutter! Tzigone sank noch tiefer in ihr Gedächtnis, verzweifelt auf der Suche nach einem Bild vom Gesicht ihrer Mutter oder nach dem Klang ihrer Stimme. Sie sah sich selbst, wie sie damals ausgesehen haben mochte – die bloßen braunen Beine mit ihrer Ansammlung von Kratzern und blauen Flecken, die zu einem Kind dazugehörten, die winzige Hände, die sich am Schoß festklammerten, das glänzende braune Haar, das ihr bis über die Schultern fiel.
    »Das war’s. Alles fertig«, sagte die Frau mit erzwungener Fröhlichkeit. »Dein Haar ist so glatt und glänzend! Du siehst viel zu fein aus, um schon zu Bett zu gehen. Wie wäre es, wenn wir über die Dächer laufen, bis wir eine Taverne finden, die noch offen hat? Wir könnten Kuchen und gezuckerten Wein bestellen, und wenn ein Barde im Haus ist, werde ich singen. Und ... ja, ich werde für dich ein wildes Geschöpf beschwören. Einen Behir, einen Drachen – was du willst.«
    Sie ließ sich nicht von der aufgesetzten Fröhlichkeit der Mutter täuschen, und die konnte sie auch nicht mit einem Ausflug auf die Dächer bestechen. Obwohl es nie laut ausgesprochen wurde, verstand das Mädchen, daß die verborgenen Wege sicherer waren als die Straßen. Rasch zurrte sie ihre Schuhe aus weichem Leder fest. Es wäre nicht gut, zu stolpern und im Griff des Mannes ihrer Mutter zu landen.
    »Ich bin fertig«, verkündete sie.
    Ihre Mutter öffnete einen Fensterladen und hob sie auf den Vorsprung dahinter. Das Mädchen drückte sich gegen die Mauer und begann, sich geschickt und sicher wie ein Lemur um das Gebäude herum zu bewegen.
    Etwas, das sich einige Straßen weiter östlich befand, erregte ihre Aufmerksamkeit. Wie eine Liane wuchs die Ranke, trieb Ableger aus, und bewegte sich zielstrebig auf die unsichtbare Sonne zu, von der sie angezogen wurde.
    Sie war schneller da als erwartet und zögerte einen Moment lang vor der Tür des Gasthauses, als würde diese Barriere sie verwirren oder als sei da noch eine andere Barriere, die Tzigone nicht sehen konnte. Dann flog die Tür explosionsartig aus den Angeln – geräuschlos, aber mit solcher Wucht, daß es ihr den Atem nahm und fast von dem Vorsprung schleuderte.
    Plötzlich war ihre Mutter neben ihr und hielt ihre Hand so fest, daß es schmerzte. »Hier entlang«, drängte sie und machte sich nicht länger die Mühe, ihre Angst zu verbergen.
    Sie schoben sich wie Krabben auf dem Vorsprung seitlich weiter und näherten sich einem der kunstvoll gearbeiteten Fallrohre, die die Ecken eines jeden Gebäudes zierten. Sie verliehen dem Bauwerk Schönheit und Status und halfen zugleich, der schweren Sommerregenfälle Herr zu werden. Dieses Rohr war so gestaltet, daß es an zwei ineinander verschlungene Schlangen erinnerte. Daran entlangzuklettern war eine Leichtigkeit, und Augenblicke später hielten die Hände des Mädchens bereits das steinerne Maul eines der beiden schlangenköpfigen Wasserspeier umschlossen, die den oberen Abschluß der Rohre bildeten.
    Die Mutter plazierte ihre Schulter unter den schmalen Rumpf des Kindes und hob es an. Tzigone machte einen Satz nach oben, landete auf dem Dach und rollte zur Seite. Einen Herzschlag später war sie aufgesprungen und eilte zur Südseite

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