Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
sie viel ertragen. Sie konnte fast zwanzig Jahre Ausbildung in ihren Schulen beiseite wischen, die forschende Hände ihrer Gefährten, die Idiotie der Regeln. Was bedeuteten solche Dinge schon einer Elfe, die Geburt und Tod von drei Jahrhunderten miterlebt hatte? Wenn es noch einmal dreihundert Jahre dauern sollte, würde sie die Magie Halruaas benutzen, um sich zu nehmen, was ihr gehörte – und Matteo würde ihr helfen, dieses Ziel zu erreichen. Dessen war sich Kiva sicher. Er besaß das Geschick, einen kampferfahrenen Wemic zu besiegen, und ihm war die Unabhängigkeit zu eigen, sich mit einem scheinbaren Straßenbalg anzufreunden. Natürlich würde sich diese Toleranz wie Tau in der Morgensonne verflüchtigen, wenn er herausfand, daß dieses Mädchen mit Magie so sorglos umging wie eine plattfüßige Bedienung in einer Taverne, die Suppe verschüttete, ohne sich daran zu stören.
Doch dieses Wissen konnte Matteo durchaus noch lange verborgen bleiben. Kiva hatte erfahren müssen, daß Tzigone ihre Geheimnisse gut vor anderen verbergen konnte.
Sie beugte sich über die Kristallkugel. Matteo ritt zum Nordtor. Sie betrachtete aufmerksam seine Haltung und seine Position auf dem Sattel, um zum Schluß zu kommen, daß er allein ritt.
Die Bluthündin bewegte eine Hand über die Kugel, um das Bild verschwinden zu lassen, dann stand sie auf. Sie ging zum Bett und beugte sich über ihren Gefangenen, schob die Lider seiner braun-grünen Augen zurück und blickte tief hinein, um sicher zu sein, daß sein Schlaf fest und tief war.
Sie wirkten rasch einen Zauber, der sie in die stille Straße bringen würde, in der Mbatu schlafend auf dem Pflaster lag. Vor Ort nahm sie aus ihrem Beutel ein kleines Quadrat aus schwarzer Seide, das sie so viele Male aufklappte, bis es ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe erreicht hatte, und legte es dann über den Wemic. Der zarte Schleier sank zu Boden und paßte sich an Mbatus Statur an, dann sank es plötzlich weiter, bis es platt auf dem Kopfsteinpflaster lag.
Kiva nahm das Tuch, hielt es hoch, wirbelte es im Kreis und ließ es dann los. Die dünne Seide knisterte leise, als sie um sie herum zu Boden glitt. Dann fühlte sie das rasche, heftige Ziehen der Magie, die sie zurückbrachte in ihr gemietetes Zimmer. Im letzten Moment griff sie geübt nach der Ecke des Portals und nahm das kostbare Objekt mit.
Sie warf das seidene Portal weg und schritt zu dem verschlossenen Kästchen, das sie auf dem Nachttisch zurückgelassen hatte. Mbatu würde die Seide später zusammenfalten, wenn er sich von Tzigones Zauber und der noch bevorstehenden magischen Inquisition erholt hatte.
Kiva nahm einen kleinen Stab aus dem Kästchen, nicht das verzierte, mit Edelsteinen besetzte Spielzeug, das sie benutzt hatte, um die Jordaini und ihre Meister zu verwirren, sondern das tatsächliche Werkzeug ihres Amtes. Der Stab war schmal und silbern, aber er war nicht aus Metall, das man dem Boden und dem Gestein entrissen hatte, sondern war ein eingefangener Blitz, pure Energie, die eine feste Form erhalten hatte. Sie kannte nichts anderes, das Magie so gut leitete – nicht Wasser, nicht Bernstein, nicht einmal Mondstein. Wenn es in einem Lebewesen auch nur eine Spur von Magie gab, würde sie es erfahren. Der Stab konnte auch andere nützliche, wichtige Dinge ans Tageslicht bringen, aber dafür benutzte Kiva ihn nur selten.
Blitze waren nie leicht zu bändigen, und der Prozeß war für die Bluthündin so schmerzhaft wie informativ.
Sie führte den Zauber zu Ende, der den Wemic aus Tzigones Fängen befreite. Mbatu reckte und streckte sich schmerzerfüllt. Er öffnete die bernsteinfarbenen Augen, dann kniff er sie zusammen, um den Stab in Kivas Hand scharf sehen zu können.
»Hat die Kristallkugel nicht funktioniert?« fragte er mit verschlafener, rauher Stimme.
»Doch, aber ich muß mehr wissen. Ich muß alles wissen.«
Der Wemic sah sie an. Er setzte sich auf, klappte die Vorderpfoten unter sich zusammen und benutzte seine humanoiden Arme, um sich abzustützen, damit er die bevorstehende Tortur besser ertrug. Es kam ihm gar nicht erst in den Sinn, zu fragen, ob die magische Inquisition wirklich nötig war. Wenn Kiva glaubte, die Sache sei es wert, den Schmerz zu ertragen, dann konnte er nicht anders darüber denken.
»Ich bin bereit«, sagte er mit kräftigerer Stimme.
Die Bluthündin kniete sich vor ihm auf den Boden und streckte langsam die Hand aus, die den Stab hielt, bis die Spitze ganz sanft
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