Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
einer alternden Milchmagd und gehörte unbestritten zu den blutrünstigsten und grausamsten Kapitäninnen, die das Große Meer befuhren.
»Ich hatte Gelegenheit, mich mit ihr zu unterhalten«, erklärte Matteo. »Vor zwei Jahren verbrachte sie einen Teil der sommerlichen Regenzeit im Haus der Jordaini, da sie Fieber hatte.«
»Diese alte Gaunerin?« fragte Tzigone ungläubig. »Ich bin überrascht, daß die Jordaini sich überhaupt mit ihr abgaben.«
»Manchmal werden Kriminelle und Fremde ins Haus gebracht, die behandelt werden müssen. Für die Studenten ergibt sich so Gelegenheit, den Verlauf ernster Erkrankungen ebenso mitzuverfolgen wie deren Heilung«, erläuterte er. »Um ehrlich zu sein, es hatte niemand damit gerechnet, daß sie überleben würde. Als sie sich wieder erholt hatte, bestand sie darauf, für ihren Aufenthalt und ihre Genesung zu bezahlen, indem sie einige der Studenten in Gezeiten und Strömungen unterrichtete. Ihre Schilderung großer Schlachten war allerdings die beste Lektion, die wir von ihr erhielten«, gestand er mit flüchtigem Grinsen.
»Dann kennst du ihre Stimme.« Tzigone räusperte sich und schürzte lächelnd die Lippen. Ihre Wangen schienen sich aufzublähen, und ihre Augen begannen zu funkeln. Um die Illusion perfekt zu machen, trat sie unter die karmesinrote Zeltbahn. Das Licht, das hindurchfiel, gab ihrem Haar einen rötlichen Hauch und verlieh ihrem Gesicht eine Rötung wie von kräftigem Wind. Ohne wirklich etwas an ihrem Aussehen zu verändern gelang es ihr, das Wesentliche der Piratin herüberzubringen.
»Und was hättste gern, Liebelein?« fragte sie mit fröhlicher Stimme und einem breiten Akzent der nördlichen Mondschein-Inseln. »’n Messer durch deine Gurgel oder willst dich lieber auf ‘ne Speerspitze setzen?«
Sie betete weiter gut gelaunt zunehmend blutiger werdende Todesarten in einem Tonfall herunter, der einer Kellnerin einer Taverne glich, die mit großer Begeisterung die Spezialitäten des Abends auflistete.
Während er zuhörte, begannen sich Matteos Lippen unwillkürlich zu einem Lächeln zu verziehen, und er merkte, daß sein Zorn verrauchte. Es fiel ihm schwer, lange auf Tzigone wütend zu sein. Die junge Frau war einfach zu amüsant, und auf ihre eigene Art meinte sie es wirklich gut mit ihm.
Er fand sie auch auf eine Weise interessant, die weit über ihre überzogenen Geschichten hinausging, denn etwas an ihr war rätselhaft. Es entging ihm nicht, daß Tzigone die weithin gebräuchliche Handelssprache, die zu erlernen sich nur wenige Halruaaner die Mühe machten, da sie sowohl isoliert als auch stolz waren, mühelos beherrschte.
»Und nun etwas aus den dekadenten Nordlanden«, sagte sie und wechselte zu einem langgezogenen Akzent.
Nach ‘nem Überfall ist die Erregung groß,
Bei den Männern der Zentilfeste.
Sie töten das Weibsvolk rasch
Denn Schafe sind eh’ das Beste.
Doch essen sie nicht das geraubte Vieh
Wie das wäre bei Schlemmern
Es spart ihnen vielmehr die Onanie
Nur stinken sie ständig nach Lämmern. «
Sie deklamierte die Verse in klingender, metrischer Sprache, fast wie ein klassisch ausgebildeter Barde, der die Geschichte einer Schlacht vorträgt oder ein Epos über seit langem tote Helden rezitiert. Die Kombination aus ihrer kultivierten Sprechweise und dem derben Reim ließ Matteo verwundert den Kopf schütteln.
»Wo hast du das bloß aufgeschnappt?«
»Große Lieder überdauern, aber schlechte machen die Runde«, grinste sie.
Er mußte lachen. »Dieses Sprichwort ist mir nicht vertraut, aber es scheint der Wahrheit zu entsprechen.«
»Sprichwort?« Ein Schatten der Verärgerung huschte über ihr Gesicht, verschwand aber rasch wieder. »Und was nun?«
Matteo wußte die Antwort, aber er wußte auch, daß er sie nur ungern aussprach. »Ich fürchte, unsere Wege trennen sich nun«, sagte er mit ehrlichem Bedauern und wollte den Leinensack vor ihr abstellen.
Sie riß die Augen weit auf und streckte eine Hand nach ihm aus. »Nimm den nicht von der Schulter!«
Mißtrauen stieg erneut in ihm auf, und mit diesem Gedanken kam auch der stechende Schmerz des Selbstvorwurfs. Jordaini besaßen große Widerstandskraft gegen alles Magische, und das schloß auch alle Methoden der magischen Ermittlung ein. Da man sie selten dabei beobachten konnte, wie sie sich Kristallkugeln und ähnlicher Gegenstände oder Suchzauber bedienten, waren sie die geborenen Boten. Ausgefeilte Protokolle sorgten dafür, daß sie nicht
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