Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
jeder andere in der Lage, dieser Gefahr entgegenzutreten. Ich werde Euch sagen, wo viele ihrer versteckten Lager und Höhlen gelegen sind. Ihr werdet durch den Sieg zu Ruhm gelangen, und man wird von Euch Notiz nehmen, wenn Ihr das Anrücken der Mulhorandi vorhersagt.«
»Ein überzeugendes Argument«, räumte Procopio ein. »Und wenn die Miliz nach irgendeiner Art von Beweis verlangt?«
»Zwei Eurer ehemaligen Jordaini reisen durch den Nath. Berichtet dem König von Eurer Sorge um diese jungen Männer, erzählt von den beunruhigenden Visionen, die Ihr empfangen habt. Ich werde meinen Einfluß bei den Crinti nutzen, damit die Jordaini gefangengenommen werden. Schickt einen Suchtrupp aus, der die beiden ›retten‹ soll. Wenn sie in die Stadt des Königs zurückkehren und von den Grausamkeiten der Crinti berichten, werdet Ihr wie ein echter Prophet aussehen.«
»Einverstanden«, sagte Procopio prompt. »Aber ich warne Euch. Ich habe jede mögliche Variante der Kampfstrategien in den nördlichen Hügeln studiert. Eure Crinti können mich nicht überlisten, und Ihr selbst tätet gut daran, mich nicht zu hintergehen.«
»Warum sollte ich?« gab sie zurück. »Ihr wollt Euch im Kampf beweisen, ich wünsche, daß die Crinti verschwinden. Ihr wollt Zalathorms Platz einnehmen, und Ihr benötigt das Chaos, von dem ich bereits bewiesen habe, daß ich es anzurichten vermag. Außerdem will ich auf Zalathorms Grab tanzen.«
Noch nie hatte Procopio jemanden mit solcher Verachtung sprechen hören, und noch nie hatte er einen solchen Haß gesehen wie er in Kivas Blick stand. »Vielleicht habe ich ja doch allen Grund, Euch zu trauen.«
»Stellt mich auf die Probe und seht, was passiert.«
Die Elfe stellte sich breitbeinig hin und schloß ihre bernsteinfarbenen Augen. Procopio wirkte rasch einen Erkenntniszauber, um ihre Motive zu ergründen.
Im selben Augenblick war er von einem eisigen Sturm der Gefühle umgeben, einem Gletscher der Entschlossenheit. Kivas Rachegelüste waren so intensiv, daß Procopio sie wie einen körperlichen Schlag empfand, der ihn nach hinten taumeln ließ. Grausame Kälte durchfuhr ihn, und seine Beine waren plötzlich taub und steif.
»Warum?« brachte er heraus.
»Warum sollte es Euch kümmern, solange meine Aufrichtigkeit Euch zufriedenstellt?« Die Elfe breitete die Arme aus und begann, sich wie ein Kind um die eigene Achse zu drehen. Ihre Füße hoben sich vom Boden, und dann schwebte und schrumpfte sie so schnell wie zuvor das Pferd. Einen Moment später war sie verschwunden – ein winziger Sturm, der zugeschlagen hatte und sogleich weitergezogen war.
Kiva trat aus dem Wirbeln des Zaubers heraus und befand sich wieder im trostlosen Gebiet der Nordländer. Sie drehte sich jedoch lachend weiter und vollführte einen ausgelassenen kleinen Tanz. Es war zu köstlich! Ein Magierfürst, der bereit war, ja sogar darauf brannte, Streitkräfte in den Nath zu führen! Die Crinti würden sie zermalmen wie Ameisen unter den Hufen eines Ochsen. Daß Procopios Vorstoß gleichzeitig die Verteidigung der Stadt des Königs schwächen würde, war kein Zufall.
Sie hatte Procopio die Wahrheit gesagt, jedenfalls grundsätzlich. Ja, Zalathorm würde zu Fall gebracht werden, doch nicht jetzt und nicht auf diese Weise. In dieser Invasion würde das Blut von Kriegern fließen. Doch nur das Blut von Magiern konnte Kivas Rachedurst stillen.
Procopios Gelüste nach dem Thron würden warten müssen. Für den Augenblick sollte Zalathorm weiterhin auf seinem Thron sitzenbleiben, den Blick auf die gefährdeten Grenzen gerichtet. Dann würde er vielleicht nicht erkennen, daß die wahre Gefahr mitten in seinem eigenen Land lag, im Herzen von Halruaa.
ZWANZIGSTES KAPITEL
A ndris sah Kiva zu, wie sie ins Lager kam, den wachsamen Crinti zunickte, dann aber geradewegs auf ihn zukam. »Wir brechen auf«, sagte sie abrupt.
Er erhob sich langsam von seinem Platz am Lagerfeuer. »Wir alle?«
»Nur wir beide. Ich will vor Mittag den Schutz der Bäume von Mhair erreicht haben.«
Sie sang eine Beschwörung und streckte ihre Hand nach ihm aus. Als er ihre Finger berührte, wurden sie beide von einem wirbelnden Nebel aus sanftem weißem Licht umhüllt. Andris erwartete ein Pfeifen des Windes, ein Gefühl der Bewegung; doch es gab nichts außer dem Licht. Es herrschte eine so tiefe Stille, daß er seinen eigenen Herzschlag hörte wie eine tosende Brandung.
Das Licht wurde intensiver und verwandelte sich in den goldgrünen
Weitere Kostenlose Bücher