Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
Procopio in seinen Turm zurück, um dem Azuth-Priester Ymani Gold eine Nachricht zukommen zu lassen.
Der Erkenntniszauberer schloß und sicherte die Tür zu seinem Privatgemach und ließ sich in einem bequemen Sessel nieder. Er setzte zu dem Gesang an, der ihn in eine tiefe Magiertrance versetzen und sein Abbild ins Arbeitszimmer des Priesters schicken würde.
Vor Procopios Augen wurde es schwarz, dann entstand ein wirbelnder grauer Nebel. Das Bild nahm Form und Substanz an, wenn auch keine Farbe, und erlangte schließlich den Anblick einer kargen Kammer, wie sie zu einem Azuth-Priester paßte.
Der gesamte Raum war in Grau gehalten. Die Wände waren mit Zedernholz verkleidet, das über die Jahre einen silbrigen Glanz angenommen hatte. Der Schreibtisch war aus tristem Marmor gehauen, und die Sessel waren mit rauchgrauer Seide bezogen. Selbst der Teppich war in unterschiedlichen Grautönen gemustert. Procopio erkannte aber, daß es sich um einen edlen Calimshan-Teppich handelte, ein Kunstwerk, das die meisten Menschen einen ganzen Jahreslohn kostete.
Gold saß am Schreibtisch und verzehrte gedankenverloren eine gezuckerte Feige nach der anderen, während er eine Schriftrolle las. Seine fleischige Hand bewegte sich unablässig zwischen Mund und Teller hin und her, und die kreisenden Bewegungen seines Kiefers erinnerte Procopio an den Anblick einer Rothe, die Gras kaute. Der Priester war noch nicht im mittleren Alter, doch seine dicke Nase wies eine Fülle geplatzter Äderchen auf, und die tiefen Falten unter seinen Augen warfen dunkle Schatten. Er trug kunstvoll bestickte graue Seide, die so geschnitten war, daß sein fülliger Leib nicht sofort auffiel. Gold war ein Mann, der den schönen Dingen nicht abgeneigt war. Procopio wußte von anderen, nicht so unmittelbar erkennbaren Neigungen. Der Lohn eines Priesters konnte Ymani Golds zahlreiche Gelüste unmöglich stillen, und Procopio war dahinter gekommen, daß er durchaus bereit war, dem Oberbürgermeister von Halarahh zu dienen – wenn der Preis stimmte.
Procopio wirkte rasch einen Erkenntniszauber in der Hoffnung, die auf der Schriftrolle enthaltene Botschaft in Ymanis Geist lesen zu können, ehe der Priester seine Gegenwart wahrnahm. Die gestohlene Neuigkeit ließ ihn ungewollt nach Luft schnappen, was er rasch mit einem Räuspern überdeckte.
Gold sprang auf und warf dabei seinen Stuhl um. Der Schrecken auf dem Gesicht des Mannes hätte Procopio amüsiert, wäre die gestohlene Information nicht so unerfreulich gewesen.
»Seid gegrüßt, Priester, und Frieden für dieses Haus. Ich schwöre, in diesen Mauern keine unerwünschte Magie anzuwenden.« Keine weitere Magie, fügte Procopio Septus in Gedanken an.
Gold erlangte seine Fassung zurück, stellte den Stuhl auf und nahm wieder Platz. »Meister Procopio«, sagte er mit flötendem, nasalem Tonfall. »Was verschafft mir eine solche Ehre?«
Procopio nahm im bequemsten Sessel Platz, ehe er antwortete: »Wir haben ein gemeinsames Problem. Die Bluthündin ist entkommen.«
Gold blinzelte überrascht, ein Hauch von Argwohn huschte über seine Züge. »Ihr seid gut informiert. Ich habe gerade erst selbst davon erfahren.«
Procopio hielt es für das beste, über einen Fehlgriff hinwegzugehen, indem man sich auf einen anderen konzentrierte. »Es ist schwer, solche Dinge vor einem Erkenntniszauberer geheimzuhalten, auch wenn sich die Azuth-Kirche redliche Mühe gegeben hat.«
»Offenbar nicht genug, wenn Ihr davon erfahren habt.« Gold machte ein mürrisches Gesicht. »Macht Euch nicht die Mühe, mir zu sagen, welch mächtiger Erkenntniszauberer Ihr seid, dem nichts verborgen bleibt. Die Wahrheit bitte. Wie seid Ihr an das Wissen gelangt?«
»Ich hatte Besuch von einem Jordain, der einst in meinem Dienst stand, einem Jungen namens Matteo.«
Ymani Golds Augen bekamen einen bösartige Glanz. »Ich kenne den Namen. Seine Meister bezeichnen ihn als strahlendes Musterbeispiels für alles, was seine Art angeblich so besonders macht. Sie behaupteten auch, er werde niemals darüber sprechen, da man ihn angewiesen hatte, über diese Angelegenheit Stillschweigen zu wahren. Es ist erfreulich zu wissen, daß ein solches Vorbild zur Indiskretion fähig ist und daß die sogenannten Jordaini-Meister so fehlbar sind wie andere Menschen auch.«
»Die Jordaini-Meister liegen in dieser Sache richtiger, als sie ahnen«, murmelte Procopio. »Matteo ist hartnäckig, loyal und ehrbar.«
Gold kniff die Augen zusammen. »Soll ich
Weitere Kostenlose Bücher