Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
hätte.
Sie wies mit einer Kopfbewegung auf sein Jordaini-Medaillon. »Wenn einer von Euch kommt und Fragen stellt, wird jede Frau, mit der er gesprochen hat, an einen anderen Ort gebracht. Glaubt Ihr nicht, daß diese Frauen genug gelitten haben und nicht auch noch ihr Zuhause verlieren müssen? Nun wird diese Frau auch umziehen müssen – und dann noch einmal und immer wieder, bis Ihr und Euresgleichen sie endlich in Ruhe lassen.«
Schuld und Trauer schlugen wie eine Woge über Matteo zusammen. »Das wußte ich nicht.«
»Dann wißt Ihr es jetzt. Geht, bevor Ihr noch mehr Schaden anrichtet. Es gibt einige Dinge, Jordain , die wichtiger sind als Euer Recht auf alles Wissen in Halruaa!«
Sie sprach seinen Titel wie einen Fluch aus. Matteo war nicht sicher, ob sie damit so falsch lag. Er verbeugte sich tief, um sich zu entschuldigen, dann drückte er der Dienerin seinen Münzbeutel in die Hand.
»Damit ihre Reise erleichtert wird«, sagte er, dann verließ er fluchtartig das Haus.
Er ging zu Fuß zurück zum Palast, obwohl es ihn fast den ganzen Tag kostete. Als das letzte Echo der Trompete verhallte, die von der Schließung der Palasttore kündete, kam er dort an. Es war ein aufwühlender Tag gewesen, der mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hatte. Eines stand fest. Er würde Tzigone alles sagen, auch wenn es eine Geschichte war, die sie sich nur schwer würde anhören können. Die Anschuldigungen gegen Keturah waren ernst und plausibel, aber jetzt verstand er, was Tzigone so viele Jahre hinter diesen Antworten hatte herjagen lassen. So sehr es sie auch schmerzen würde, vom Schicksal ihrer Mutter zu hören, verstand Matteo jetzt, daß es etwas viel schlimmeres gab: nämlich etwas nicht zu wissen.
DREIZEHNTES KAPITEL
A ndris saß allein außerhalb des Lichtscheins des Lagerfeuers. Ungläubig sah er, wie Kiva freudig den Schatz entgegennahm, den die Crinti-Räuberinnern für sie zusammengetragen hatten. Sie nahm eine Mondsteinkugel in beide Hände und strich darüber wie eine junge Mutter, die bewundernd ihr Kind hält.
Andris rief sich in Erinnerung, welchem Zweck ihre Queste diente. Die Kabale war eine Fäulnis tief im Herzen Halruaas. Er mußte sie vernichten, und das nicht nur wegen seiner elfischen Herkunft, sondern weil er nach wie vor ein Jordain war, der sich zum Dienst an Halruaa verpflichtet hatte. Kiva war seine einzige Verbündete, seine einzige Hoffnung, dieses Unrecht aus der Welt zu schaffen.
All das sagte Andris sich. Die Phrasen kamen ihm so mühelos über die Lippen wie einem Priester sein Morgengebet. Doch im Gegensatz zu den Gebeten an Azuth erschienen ihm seine stummen Worte hohl und falsch.
Er sah, wie die Crinti die Elfe mit ihren erbeuteten Reichtümern und grausigen Trophäen überhäuften. Besonders stolz präsentierten sie einen riesigen Schädel, der ein wenig nach dem eines gigantischen Sahuagin aussah. Ihr Verhalten erinnerte an Kinder, die ihre Eltern umschwärmten, um deren Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber gar nicht erwarteten, diese Aufmerksamkeit auch zu bekommen.
Andris verstand nur zu gut, daß Elfen jene von unreinem Blut mieden und ablehnten. Kiva nutzte diese Tatsache. Das Geschenk ihrer Anwesenheit machte sie zur Königin der Crinti, und ihre gespielte Akzeptanz nahmen sie wie eine seit langem ersehnte Schwesternschaft. Sie wurden von Kiva getäuscht, weil sie glauben wollten.
Er fragte sich, wie gut diese Beschreibung auf ihn selbst paßte.
Kiva thronte auf einem mit Fellen bedeckten Felsblock am Lagerfeuer und war sich in geringem Maß des Unbehagens bewußt, das Andris empfand, aber sie war zu sehr von dem neuen Schatz gefesselt, um sich Gedanken darüber zu machen. Vor allem die Kugel des Sehens gefiel ihr. Sie strich über den Mondstein, um ihn auf ihre persönliche Kraft auszurichten.
Shanair sah sie stolz lächelnd an. »Ist es genug?«
»Es ist ein wundervoller Schatz«, versicherte Kiva ihr. »Es wird eine Weile dauern, ihn zu begutachten.«
Die Crinti wies auf den wuchtigen Schädel. »Das war gute Beute. Werden mehr dieser Art durch das Wehr kommen?«
Andris richtete sich abrupt auf, beunruhigt von der Bedeutung, die Shanairs Worte enthalten mochten. Sein Blick wanderte zu der Trophäe. Der Feuerschein tanzte über die Wülste und Vertiefungen und ließ die mit Reißzähnen bewehrten Kiefer wie das gehässige Grinsen eines Dämonen wirken. Es war kein Sahuagin und auch kein anderes Geschöpf dieser Welt!
»Das Portal wird sich bald öffnen«,
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