Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
Stadtwachen tauschten erstaunte Blicke aus, als Matteo ihnen sagte, auch ihre Angreifer seien verschwunden. Keiner von ihnen wagte es, den Wahrheitsgehalt der Worte anzuzweifeln, die der Jordain der Königin sprach. Matteo konnte sich aber vorstellen, was die Männer dachten. Warum sollte eine Gruppe von Männern vor einem einzelnen Jordain die Flucht ergreifen? Als Matteo das Wort »verschwunden« allerdings im buchstäblich magischen Sinne definierte, nickten die Wachen verstehend. Immerhin war man in Halruaa, und dort waren merkwürdige magische Begebenheiten an der Tagesordnung.
Aber sie wurden gründlich untersucht, und wie Tzigone bereits bemerkt hatte, war es unwahrscheinlich, daß die Antworten angenehm ausfallen würden.
* * *
Eine Stunde später spazierte Matteo in den rosafarbenen Marmorpalast, in dem die Behörden der Stadt untergebracht waren. Mehrere Wachen und Schreiber erkannten ihn und verbeugten sich respektvoll, als er an ihnen vorbeiging. Niemand hielt ihn auf, als er zur Suite des Oberbürgermeisters ging und den Gang betrat, der ins Reich von Procopio Septus’ oberstem Schreiber führte.
Wie erwartet traf Matteo ihn am Schreibtisch an. Seine Aufgabe war es unter anderem, jedes Sendschreiben an den Oberbürgermeister auf einen einzigen Satz zu reduzieren, damit Procopio auf einen Blick die Neuigkeiten des Tages überschauen und entscheiden konnte, wie er sich am besten seine Zeit einteilte.
»Seid gegrüßt, Shiphor«, sagte Matteo leise.
Der Schreiber blickte auf und erschrak, dann lächelte er. »Matteo! Sagt mir bitte, daß Ihr auf unser Niveau degradiert worden seid!«
Matteo reagierte mit einem kurzen Lachen auf den Scherz und sah sich in Shiphors Zimmer um, das klein und mit Dokumenten aller Art vollgestopft war. »Euer Niveau? Dies ist das Herz der Stadt. Das Blut des Lebens pulsiert durch Eure Hände.«
»Wenigstens einer, der versteht, wie bedeutend ich bin«, sagte der Schreiber sarkastisch. »Da Ihr so bemerkenswerte Intelligenz beweist, will ich Euch jede weitere Schmeichelei ersparen und Euch einfach sagen, was Ihr wissen wollt. Nicht, daß mir das Vergnügen bereiten würde.«
Der Jordain grinste, als er sah, wie Shiphors zynischer Ton vom Funkeln in seinen Augen abwich. »Darf ich Eure Zusammenfassungen der letzten Tage sehen – und die von heute?«
Shiphor zog sofort mit bemerkenswerter Präzision mehrere Bogen aus verschiedenen Stapeln und gab sie ihm. Matteo überflog die Zusammenfassungen und widmete sich zuerst den letzten Meldungen. Er blätterte, bis ihm Kivas Name auffiel. Während er las, verfinsterte sich seine ohnehin schon düstere Stimmung noch mehr.
Kiva war zur Verräterin erklärt worden, doch das schien Procopio nicht zu genügen. Sie war auch von der Azuth-Kirche exkommuniziert worden. Matteo sprach einen der Flüche nach, die Tzigone so gut beherrschte.
Shiphor warf ihm einen stechenden Blick zu. »Gibt es Probleme?«
»Halruaa ist voll davon, wie es scheint«, sagte Matteo düster. »Mit Eurer Erlaubnis möchte ich eines davon, ein besonders besorgniserregendes, Meister Procopio vortragen.«
Shiphor nahm die Seite, die Matteo ihm zurückgab, und las. Sein Politikverständnis war weit besser, als sein Arbeitgeber zugab, und er erfaßte sofort, um was es ging. »Der Oberbürgermeister wird diese Neuigkeit höchst unerfreut zur Kenntnis nehmen, und das wird auch für die Person gelten, die sie ihm überbringt.« Er gab Matteo das Blatt zurück und lächelte humorlos. »Ich will mich nicht mit Euch um das Privileg streiten, aber es wäre vielleicht am besten, wenn Meister Procopio diese Neuigkeit zusammen mit dem Rest erfahren würde. Es gibt keinen Mangel an schlechten Nachrichten, um diese etwas abzumildern.«
»Warum abmildern?« gab Matteo zurück. »Procopio hat ein Paar ungeschönte Tiefschläge verdient.«
Shiphor lehnte sich zurück und sah den wütenden Jordain an. »Ihr werdet von mir kein Widerwort hören. Geht mit meinem Segen, obwohl Euch Mystras Segen mehr Nutzen bringen dürfte.«
Matteo war schon auf dem Weg aus dem Raum. Er war so wütend, daß er weder über die Warnung noch über die möglichen Folgen nachdachte.
Die Exkommunizierung bedeutete, daß es untersagt war, mit Kiva Kontakt aufzunehmen. Jeder, der Fragen über sie stellte, würde äußerst aufmerksam beobachtet werden. Matteo konnte sich keine bessere Methode vorstellen, um Ermittlungen über den Verbleib der Bluthündin im Keim zu ersticken.
Er stürmte an der Wache
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